Gegen andere austeilen, um nicht den Fokus auf die eigenen Unzulänglichkeiten zu lenken
Die Handlung spielt in Obach, einem fiktiven Dorf, irgendwo zwischen Baumholder und Birkenfeld, an den Rändern des Hunsrücks.
Das Buch ist aus der Sicht der zu Anfang sechsjährigen Tochter eines Ehepaars ...
Die Handlung spielt in Obach, einem fiktiven Dorf, irgendwo zwischen Baumholder und Birkenfeld, an den Rändern des Hunsrücks.
Das Buch ist aus der Sicht der zu Anfang sechsjährigen Tochter eines Ehepaars geschrieben. Er arbeitet in einem Ingenieurbetrieb, muss aber feststellen, dass alle studierten und ausgebildeten Ingenieure an ihm vorbeiziehen und er bei jeder Beförderung den Kürzeren zieht. Die Mutter arbeitet als Fremdsprachensekretärin in einem Leder verarbeitenden Betrieb, Kirn war damals Zentrum der Lederindustrie in dieser Region. Gegen den Willen ihres Mannes bildet sie sich gerade mit neuen Sprachen weiter, ihre Prüfung steht zu Anfang des Buches kurz bevor.
Die in einer anderen Schriftart gesetzten kurzen Abschnitte im Buch sind mit großem zeitlichem Abstand und im Rückblick von der Tochter verfasst worden. Sie denkt über ihr eigenes Verhalten, über das ihres Vaters aber auch über die Reaktionen ihrer Mutter nach.
Vater und Mutter sind nicht sonderlich glücklich miteinander. Ständiger Streitpunkt ist das zu hohe Gewicht der Mutter. Und auch auf dem ehemaligen Bauernhof, dem Wohnhaus der Eltern, in dem auch die Großeltern eine Wohnung haben, scheint die Mutter nicht willkommen zu sein. Ihr wird ihre Herkunft vorgeworfen, ihre Eltern waren Flüchtlinge aus Schlesien, die nach dem Krieg zwischen Nahe und Hunsrück hängenblieben.
Der Familie geht es finanziell gut, man kann sich einen Urlaub leisten und baut nach der Erbschaft der Familie mütterlicherseits ein großes Haus in Ortsrandlage.
Egal, wie die Mutter sich verhält, sie kann immer nur alles falsch machen. Die Abneigung, die ihr da entgegenschlägt, nagt an ihr.
Meiner Meinung nach war das ständige Gerede darüber, dass die Mutter zu dick sei, lediglich ein Ausdruck der Unterlegenheit des Vaters. Das wurde mir klar, als die letzte Maßnahme der Mutter, die endlich Erfolge zeigte, bei ihrem Vater nur Unsicherheit hervorrief. Er schien jetzt plötzlich nicht mehr zu wissen, wie er sie in Schach halten konnte und wie er weiterhin an ihr herummäkeln konnte (S. 389).
Die Mutter war die Stärkere in der Beziehung, sie wurde zwar jahrelang kleingehalten und niedergemacht, dennoch ließ sie sich letztendlich nicht unterkriegen.
Für mich hatte sie alles versucht, die Ehe zu retten, den beiden Kindern eine sorgenfreie Kindheit zu bescheren, sie hatte sogar Jenny, eine entferntere Verwandte und Freundin von Ela lange Zeit als Pflegekind bei sich aufgenommen. Ihrem Mann hat sie wider besseres Wissen seine Allüren (Sportwagen, Urlaub) erlaubt. Und trotzdem, es war nie genug. Irgendwie erschien es mir so, dass der Vater, je abhängiger er finanziell von seiner Frau wurde, sie desto ungenierter mit seinen Anschuldigungen quälte. Für seine eigenen Fehler hatte er in ihr einen Sündenbock gefunden.
Die 80er Jahre waren selbst in entlegenen Gegenden eine Übergangszeit vom Patriarchat, in dem der Mann die Richtlinien vorgab, zu mehr Mitbestimmung der Frauen. Nicht jeder Mann konnte damit umgehen, schon gar nicht, wenn er instinktiv erfasste, dass die Frau ihm mindestens ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen war. Und so waren verbale Entgleisungen eine der Methoden, mit der man die Ehefrau klein hielt und seine eigene Position sicherte.
Ich fand, es war ein sehr lesenswertes Buch, das nachhallt und das ich sicher in Teilen auch noch einmal lesen werde.