Jetzt will ich mehr von Emery Lee lesen!
Hui, so schnell wie Café con Lychee habe ich lange kein Buch mehr inhaliert! Entweder ist es so geschrieben, dass man nur so durch die Seiten fliegt, oder ich habe die Buchstaben förmlich aufgesogen: Für ...
Hui, so schnell wie Café con Lychee habe ich lange kein Buch mehr inhaliert! Entweder ist es so geschrieben, dass man nur so durch die Seiten fliegt, oder ich habe die Buchstaben förmlich aufgesogen: Für diese gut 350 Seiten habe ich keine vier Stunden gebraucht!
Die Geschichte von Theo und Gabriel kann ich nur von außen beurteilen, aber aus meiner Perspektive ist sie extrem realistisch. Einer out and proud, der andere hadert aus guten Gründen mit seiner Sexualität und lernt erst nach und nach die positiven Seiten davon kennen. Dazu kommen übervorsichtige Eltern mit hohen Erwartungen und ständige Vergleiche zu älteren Geschwistern, Selbstzweifel, Existenzängste, die sich von Eltern auf ihre Kinder übertragen, Ärger mit der entfernten Familie, kulturelle Differenzen zwischen Elternhaus und der Umgebung, in der man lebt, Druck von Vermieter und Arbeitgeber, gesellschaftliche Erwartungen an der Schule, Sorgen über die eigene Körperlichkeit – Emery Lee schafft es, all das zu erzählen und anzudeuten, ohne in erzieherische Maßnahmen zu verfallen.
So oft habe ich bei Jugendbüchern das Gefühl, dass derdie Autorin von oben herab und mit einer ständigen Moral im Hinterkopf pseudo-jugendliche Gedanken in die Köpfe seinerihrer Figuren schreibt, die mit der wirklichen Lebensrealität Jugendlicher heute nichts mehr zu tun haben. Das ist einer der Gründe, weshalb ich inzwischen nur noch wenige Bücher lese, deren Hauptfiguren noch zur Schule gehen. Hier allerdings machen all diese Elemente Theo und Gabi zu vielschichtigen Menschen, die eben mehr als eine Sorge haben können und gleichzeitig Kind und Erwachsener sein müssen. Diese Waage hält Emery Lee ganz hervorragend.
Nach einer kurzen Recherche vermute ich übrigens, dass derdie Autorin selbst zur queeren Community gehört, da auf der Website keine regulären Pronomen verwendet werden. Das erklärt für mich auch das Fingerspitzengefühl, mit dem Café con Lychee geschrieben wurde.
Besonders steht natürlich die aufkeimende Beziehung zwischen Theo und Gabi im Fokus, allerdings wird sie in einem Rahmen erzählt, den ich nicht besser zusammenfassen kann als Emery Lee selbst in einem Instagram-Post: „my romcom about reclaiming your culture that’s been stolen by white people for profit while chasing you out of your own history and space.“ Beide Jungs kämpfen um den Erhalt der Restaurants ihrer jeweiligen Eltern, nachdem ein neues fancy Szene-Café mit einer von verschiedenen Länderküchen inspirierten Speisekarte und kunterbunten Interpretationen ihnen Konkurrenz macht.
Das Thema „Kulturelle Aneignung“ ist Auslöser des Problems, mit dem beide Familien konfrontiert sind, schwebt aber den Rest des Buches eher im Hintergrund als ständige Motivation mit. Lee schwingt also nicht die Moralkeule, macht allerdings unmissverständlich klar, welche Auswirkungen so etwas haben kann.
Ich hatte beim Lesen nie das Gefühl, dass mir eine Botschaft aufgedrängt werden sollte, wie ich es so oft bei (insbesondere deutschen und männlichen) Jugendbuchautorinnen erlebe. Stattdessen habe ich einfach interessiert verfolgen dürfen, wie Gabi über den eigenen Schatten springt und den Mut aufbringt, er selbst zu sein, während Theo sich langsam erlaubt, an sich selbst zu glauben. Es gab ein paar wenige Klischees, die sich aber mehr wie Hommagen anfühlten als wie zwanghaft eingesetzte Schablonen.
So würde der schlechte Fußballspieler viel lieber Ballett tanzen, die Freundin verknallt sich in den schwulen besten Freund, bevor sie von seiner Sexualität weiß, der beste Freund hat eine On-Off-Beziehung mit seiner Freundin, was zu Reibereien zwischen den Freunden führt, Homecoming wird extrem zelebriert und ja, natürlich haben ausgerechnet die asiatischen Eltern hohe Ansprüche an die Noten ihrer Kinder und einen recht autoritären Erziehungsstil. Trotz dieser bekannten Motive wirkt das Gesamtbild von Café con Lychee wirklich stimmig und besonders.
Scheinbar soll es eine Fortsetzung geben, da auf der Webseite des Verlags von Band 1 die Rede ist. Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, wie ein zweiter Band aussehen würde und welches Paar möglicherweise im Fokus stehen könnte. Wenn ich mir aber dieses Buch als Maßstab nehme, dann möchte ich wirklich gern mehr von Emery Lee lesen.