Immer wenn Inspector Unai Lopez de Ayala, genannt Kraken, einen Tatort betritt und vor einem Mordopfer steht, beginnt er seine Arbeit mit einem stummen Ritual. „Hier endet deine Jagd, hier beginnt die meine.“ Ein prägnanter Satz, der keine Zweifel offenlässt, dass ab nun die Dinge anders laufen werden. Die Zeit des Täters ist vorüber, die Zeit des Ermittlers ist angebrochen. Als Ayala jedoch vor zwei Opfern steht, eine Konstellation, die ihm überaus vertraut ist, aus einem zwanzig Jahre zurück liegenden grausamen Fall, ist er genau wie die gesamte baskische Provinzhauptstadt Vitoria-Gasteiz in Alarmbereitschaft. Zwei Opfer, immer in einem bestimmten Alter, nackt, abgelegt an für die Stadtgeschichte wichtigen Orten, in einer inszenierten Pose. Die Hintergründe und die Bedeutung – völlig unklar. Der Täter wurde damals verhaftet, tragischerweise von seinem eigenen Zwillingsbruder und sitzt seither in Haft, die er jedoch in Kürze für einen ersten Freigang verlassen wird. Steuert er aus dem Gefängnis sein „Comeback“? Gibt es einen Nachahmungstäter? Wer steckt hinter dem Twitter-Account, der offensichtlich als Informationskanal dienen soll und Hinweise an die Polizei liefert? Ayala und seine Kollegin Estibaliz Ruiz de Gauna beginnen mit der Analyse des aktuellen Falles und der Sichtung alter Unterlagen, beschäftigen sich mit mystischen Orten und Pflanzen, alten Freunden und Familiengeheimnissen um dem Täter auf die Spur zu kommen. Immer dringender wird die Suche nach dem Täter, als weitere Opfer abgelegt werden, und die ersten bekannten Gesichter aus dem Umfeld der Ermittler darunter auftauchen bzw. das Umfeld zur Risikogruppe Nr.1 zu zählen beginnt…Der Täter scheint über alles äußerst gut Bescheid zu wissen und macht sich die manchmal unübersichtliche Lage während der Feierlichkeiten der Fiestas de la Virgen Blanca durchaus zu nutze. Wie häufig, muss Ayala tief in der Vergangenheit und lange gehüteten Geheimnissen kramen, um der Wahrheit näher zu kommen, fast einen Schritt zu nahe, als das die Geschichte gut ausgehen könnte.
Ich finde es immer wieder spannend, wie sich innerhalb des Genres Thriller dann doch die Provenienz des Autors im Stil niederschlägt. Würde man alle Namen austauschen, man käme doch schwerlich auf die Idee einen skandinavischen oder angloamerikanischen Autor zu lese, nicht mal einen französischen. Irgendwie schaffen es die Autoren oft doch, ihren ganz besonderen regionalen Stempel mit in die Handlung zu legen, auch wenn natürlich vieles, was man hier liest nicht neu ist. Inszenierte Tatorte, Familiengeheimnisse um Identitäten, Verbindung zu alten Mordserien, Kommunikation mit dem (oft vermeintlichen) Täter der alten Fälle und doch: fühlt sich bei Eva Garcia Saenz irgendwie neu und frisch an. Für mich hat dazu vor allem der Erzählstil beigetragen, nicht nur aus der Perspektive Ayalas und in der ersten Person verfasst, sondern mit einer sehr direkten Ansprache des Lesers. Das hat mich von den ersten Seiten an an das Buch gefesselt, vor allem da man zu Beginn irgendwie nicht so genau weiß, in welchem Zustand er denn wohl sein könnte. Die aktuelle Handlung wird in der Rückschau nach Abschluss der Ermittlungen von Ayala geschildert, Einschübe berichten von Vorkommnissen in Vittoria vor 45-30 Jahren und machen das Gesamtbild stimmig.
Dieses stimmige Gesamtbild wird noch dadurch gestützt, dass so ganz nebenbei es auch einen kleinen Crash-Kurs in baskischer Kultur und Tradition gibt, und vor allem: baskische oder alavesische Namen… das ist tatsächlich anfangs ein wenig holprig und man muss sich ein wenig einlesen, aber dann geht es. In jedem Fall macht dieser erste Band einer geplanten Trilogie neugierig auf die Folgebände, die hoffentlich genau so viel Spannung und Unterhaltung bieten werden wie der Erste.