INHALT
Wien, 1918. Der anhaltende Erste Weltkrieg wirkt sich immer stärker auf das Leben der verzweifelten Bevölkerung aus, die wegen der miserablen Versorgung mit Lebensmitteln hungern muss. Schleichhandel und Wuchergeschäfte florieren und es häufen sich Gewaltverbrechen in der Stadt. Man ahnt bereits, dass das Ende Österreich-Ungarns nahe ist. Während italienische Flugzeuge Propaganda-Flugblätter über Wien abwerfen, kommt es in der Nähe des Naschmarkts von allem unbemerkt zu einem brutalen Mord. Oberinspector Joseph Nechyba beginnt mit seinen Ermittlungen, doch wird es ihm gelingen, den Mörder aufzuspüren? Für den Feinschmecker und Nimmersatt Nechyba keine leichte Aufgabe, denn in den kargen Zeiten macht ihm sein ständig knurrender Magen ganz schön zu schaffen.
MEINE MEINUNG
Der fesselnde, historische Roman »Schönbrunner Finale« vom österreichischen Autor Gerhard Loibelsberger ist der letzte Band und zugleich ein äußerst gelungener Ausklang seiner ausgezeichneten, in Wien angesiedelten Reihe rund um den liebenswerten, schwergewichtigen Oberinspector Joseph Maria Nechyba.
Hierin nimmt er uns noch einmal mit auf eine spannende Zeitreise mitten hinein ins Wien während des Ersten Weltkriegs, eine arg gebeutelte Metropole angesichts der entbehrungsreichen Kriegszeiten und der bevorstehenden militärischen Niederlage. Gekonnt und atmosphärisch dicht portraitiert Loibelsberger das Alltagsleben in der Hauptstadt in all seinen bestürzenden Ausprägungen, das durch die verheerende Versorgungskrise von Hunger, Not, Armut, Hoffnungslosigkeit und Kriminalität geprägt war. Er lässt uns am vielfältigen Schicksal der Menschen teilhaben und vermittelt ein sehr stimmiges, authentisches Bild der damaligen Zeit. Zur Authentizität tragen auch die vielen in die Handlung eingebauten historischen Personen bei, die er zum besseren Überblick in einem Verzeichnis seinem Roman vorangestellt hat. Das Quellenverzeichnis am Ende dokumentiert zudem die gründliche Recherchearbeit des Autors.
Geschickt hat der Autor die hervorragend recherchierten historischen Ereignisse in Wien im Zeitraum von September 1917 bis November 1918 mit der kriminalistischen Ermittlungsarbeit zu einem spannenden Mordfall verknüpft.
Der Roman lebt neben den sehr anschaulich geschilderten Wiener Schauplätzen vor allem von seinen vielschichtig angelegten Charakteren. Mit seinem Protagonisten Oberinspector Josef Nechyba hat Loibelsberger einen interessanten, sehr liebenswürdigen Ermittler geschaffen, der mir hervorragend gefallen hat. Auf eine recht charmante Art versteht es der gemütliche, etwas behäbige Nechyba, die anstehenden Ermittlungen an andere zu delegieren, während er stattdessen bei einem „Goldblatt“ mit seinem Freund im Cafe ein wenig politisieren kann. Zudem ist er permanent hungrig, so dass er sich oft mehr um die Organisation von genießbaren Mahlzeiten sorgt, statt die Auflösung des verzwickten Kriminalfalls zügig voranzutreiben, bei dem sich trotz einiger Verdächtiger keine heiße Spur auftun will.
Nechybas Ermittlungen führen uns zu den zwielichtigen Seiten der Gesellschaft, dorthin wo Elend, Armut, Alkoholismus und Verbrechen allgegenwärtig sind, lassen uns bei Gesprächen den Kriegsmüdigkeit, Fremdenhass spüren und konfrontieren uns mit erschreckenden Abgründen der menschlichen Existenz.
Sehr gelungen ist auch Loibelsberger lebendiger, angenehm zu lesender Erzählstil, der eine authentische Sprache mit dem wundervollen Wiener Schmäh verwendet, wodurch man sich rasch ins Wien der damaligen Zeit zurückversetzt fühlt. Besonders gut hat mir gefallen, dass die verwendeten Wiener Ausdrücke nicht nur in einem umfangreichen Glossar am Ende des Buches nachzulesen sind, sondern als Fußnote, direkt auf der entsprechenden Seite erläutert werden, sodass ein lästiges Nachschlagen entfällt.
FAZIT
Ein fesselnder, atmosphärisch dichter historischer Roman mit interessanten Charakteren, der uns gekonnt ins arg gebeutelte Wien zum Ende des Ersten Weltkriegs abtauchen lässt. Sehr lesenswert und äußerst lehrreich!