„Was andere für echt hielten, zweifelte ich hartnäckig an, und womit sich alle zufrieden gaben, reichte mir nicht aus. Dafür entdeckte ich Schönheit, wo sonst niemand welche fand. Auf diese Weise versuchte ich zum Inneren der Dinge vorzudringen, deren Äußeres man sehen, hören, riechen und berühren konnte.“
Inhalt
Unhyong Jang lernt schön früh, dass sich Menschen hinter einer Maske verstecken, dass selbst ein freudestrahlendes Gesicht, wie das seiner Mutter, nur aufgesetzt sein kann und die echten Charakterzüge verbirgt.
Als Erwachsener entwickelt er eine ganz besondere Form der Kunst, mit deren Hilfe er die äußere Wahrheit zeigen möchte aber gleichzeitig auch ihre Zerbrechlichkeit und Lüge. Er nimmt von verschiedenen Frauen Gipsabdrücke, dabei konzentriert er sich immer auf ein anderes Körperteil. Zunächst sind es die Hände, dann ganze Körper oder nur das Gesicht – je nachdem welchen Teil der Frau er abbilden möchte. Doch seine Modelle sind in erster Linie besonders und entsprechen nicht dem gängigen Schönheitsideal.
In zwei Frauen verliebt er sich – die eine ist ein wahres Schwergewicht und in ihren Körperformen kann er sich verlieren, doch bald schon entwickelt sie psychische Probleme, die sie in eine schwerwiegende Krankheit führen, die Unhyongs Einfluss nicht mildern kann. Die andere ist zwar äußerlich wunderschön, erstarrt aber immer wieder in ihrer Art, sie scheint etwas zu verbergen, was sie niemandem verraten möchte. Doch damit kann der junge Künstler leben, er nimmt sich die Zeit auch diese Frau zu erkunden, um ihr wahres Ich zu enthüllen. Doch die zerstörerische Kraft dieser Beziehung ändert auch seine Sicht auf die Dinge …
Meinung
Die koreanische Schriftstellerin Han Kang hat mit ihren Werken mittlerweile internationale Erfolge gefeiert und widmet sich in diesem Buch einer Person, die selbst auf der Suche nach Nähe und Ehrlichkeit ist und nur durch stetiges Beobachten und einige Rückschläge ihrem Lebenssinn etwas näherkommt. Auf die Geschichte über die Möglichkeiten des Ausdrucks mittels künstlerischer Gestaltung aber auch die Grenzen, die nicht überwunden werden können, war ich sehr gespannt, weil mir allein die Inhaltsbeschreibung noch keine Auskunft geben konnte, ob diese Erzählung meinen Lesegeschmack treffen könnte oder eher nicht.
Im Grunde genommen passiert sehr wenig: Ein Mann verschwindet und hinterlässt Tagebuchaufzeichnungen und sein Gesamtkunstwerk, welches er minutiös in Schriftform festhält, inklusive der einzelnen Ereignisse, die zu den Objekten passen. Dennoch gelingt es der Autorin, den Leser zu unterhalten und ihn gewissermaßen für die kleinen, feinen Details der Schaffensgeschichte zu begeistern. Dabei wahrt sie jedoch eine kühle Distanz, die ebenso wie die Skulpturen zwar eine äußere Fassade besitzt, aber gleichermaßen eine hintergründige Aussage.
Die Frage der Schönheit kommt immer wieder auf, sie wird auf subtile Art und Weise hinterfragt und zeigt erschreckend deutlich, welche Auswirkungen eine gebrochene Seele auf den menschlichen Körper haben kann aber auch umgekehrt, wie viel Aufmerksamkeit dem Äußerlichen zu Teil wird, ohne jemals in die Tiefen des Herzens geblickt zu haben. Die Frage nach Schein und Sein dominiert den Text und man findet verblüffende Parallelen, Beispiele aus dem ganz normalen Alltag, die ebenfalls diese Schnittmenge aufweisen und denen ich normalerweise kaum Beachtung schenke.
Die Sprache ist poetisch, wenn auch kühl, die Charaktere bleiben weitestgehend anonym, haben nicht einmal richtige Namen. Die Geschichte überzeugt dennoch, schon allein aufgrund ihres ungewöhnlichen Ansatzes, ihrer Ausführung und der stillen, unbestimmten Entwicklung aller Personen, die die Gedankenwelt des Lesers eher am Rande streifen, als sich in ihr festzusetzen.
Fazit
Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen ausdrucksstarken Roman, der eine Thematik anschneidet, mit der ich einerseits wenig Berührungspunkte habe, die mir aber in ihrer Form durchaus wertvolle Inhalte vermitteln konnte. Besonders einprägsam wird der Text, weil er gänzlich ohne Bewertungen auskommt. Jedwedes Verhaltensmuster scheint tiefen Ursprungs zu sein, der Betrachter erhascht jedoch nur kleine Momentaufnahmen, so dass eine Anmaßung über korrektes oder schuldhaftes Verhalten erst gar nicht zur Sprache kommt.
Interessant empfand ich auch die Kraft der Selbstzerstörung auf Grund gesellschaftlicher Normen, die ein Individuum nicht immer erfüllen kann. Im Kern habe ich dabei den Aspekt der Selbstliebe gefunden, der Akzeptanz all jener Fehler, die den Menschen so liebenswert und einmalig machen, auch dann, wenn alle Hüllen zerbröckeln. Prädikat: Lesenswerte Belletristik mit Unterhaltungswert.