Anstrengendes Lesevergnügen
Ich habe schon lange keinen vergleichbar anstrengenden Roman mehr gelesen. Durch die Lektüre von Archipel wusste ich, dass der Stil von Inger-Maria Mahlke durchaus anspruchsvoll sein kann. In diesem Sinne ...
Ich habe schon lange keinen vergleichbar anstrengenden Roman mehr gelesen. Durch die Lektüre von Archipel wusste ich, dass der Stil von Inger-Maria Mahlke durchaus anspruchsvoll sein kann. In diesem Sinne hat sie sich hier noch übertroffen. Damit möchte ich den Roman nicht in ein schlechtes Licht rücken, sondern lediglich auf die erforderliche Zeit und Konzetration aufmerksam machen.
Ohne die Stadt Lübeck auch nur ein einziges Mal zu benennen, stellt sie als kleinster Staat des Deutschen Kaiserreichs das Hauptsetting der von 1890 bis 1906 dargestellten Geschichte der Familie Lindhorst dar. Die Familiengeschichte selbst wird sehr detailreich erzählt, die Familienmitglieder treten insbesondere auch aufgrund politischer Verflechtungen mit jeder Menge weiterer Personen in Kontakt. Wir haben es also mit einer hohen Anzahl an Charakteren zu tun, die fast ausschließlich durch ihr Handeln zum Leben erweckt werden. Ihre präzise Optik sowie ihre Gefühlswelt bleiben der Leserschaft weitestgehend verborgen. In diesem Kontext ist es schwierig, sich ein umfassendes Bild von den handelnden Personen zu machen, geschweige denn Nähe zu ihnen aufzubauen. Insgesamt waren es für meinen Geschmack auch zu viele Charaktere.
Obwohl sich der Roman überwiegend entlang des Zeitstrahls bewegt, sind die verschiedenen Zeitschienen nicht gut erkennbar. Es werden ungekennzeichnete Rückblicke eingestreut, die meinen Lesefluss gehemmt haben. Dadurch entstehen Längen, die eigentlich nicht notwendig wären. Denn was mir an „Unsereins“ gefällt, ist die vermittelte Atmosphäre, der Umgang der Leute miteinander, Eltern mit ihren Kindern, Politiker untereinander und mit ihren Angestellten. Interessant auch das Verhalten gegenüber Minderheiten. Es entsteht darüberhinaus ein Eindruck zum Leben seinerzeit an sich, wie beschwerlich es für manche Gesellschaftsschicht war. Amüsant habe ich die Verhaltensregeln in Liebesdingen empfunden. Insgesamt habe ich die Erzählweise ähnlich wahrgenommen wie Gespräche zwischen meinen Großeltern und deren Freunden, denen ich als kleines Kind beiwohnen durfte. Dieses Wecken von Erinnerungen gefällt mir.
Trotzdem kann ich den Roman nicht uneingeschränkt weiterempfehlen. Man muss sich schon sehr darauf einlassen und mehr Lesekapazität als gewohnt investieren.