Ein dunkler und geheimer Ort
Im Original heißt „Der Herzgräber“ „A dark and secret Place“ und ich muss sagen, dass ich diesen Titel wesentlich passender empfinde. Denn genau darum ging es in dieser psychologisch ziemlich finsteren ...
Im Original heißt „Der Herzgräber“ „A dark and secret Place“ und ich muss sagen, dass ich diesen Titel wesentlich passender empfinde. Denn genau darum ging es in dieser psychologisch ziemlich finsteren Geschichte um einen dunklen und geheimen Ort. Und wer sich vom Klappentext locken lässt und meint, dass er hier einen Serienkiller bei seinem schauerlichen Handwerk begleitet, dem sei versichert, dies war eher der kleinste Nebenschauplatz. Im Mittelpunkt standen Vergangenheit und Gegenwart mit ihren eigenen grauenerregenden Geheimnissen.
Jen Williams Schreibstil war unaufgeregt, indem das Hauptaugenmerk nicht auf blutspritzenden und adrenalinpeitschenden Augenblicken lag, sondern auf den psychologisch zwischenmenschlichen Aspekten. Besonders die unterschwelligen Gruselmomente begleiteten mich in „Der Herzgräber“ ziemlich häufig, sodass eine durchgängig schaurige, unheimliche bedrohliche Atmosphäre in der Luft lag.
Die unterschiedlichen Zeitebenen sorgten nicht nur für spannungsvolle Abwechslung, sondern auch dafür, dass sich mir immer mehr Fragen stellten, deren Antworten ich gern gekannt hätte. Besonders der Vergangenheitsstrang mit Michael Reave als Hauptfigur empfand ich besonders interessant. Seine Entwicklung und welche Konsequenzen dies bis in die Gegenwart hatte, waren auf grauenerregende Art und Weise faszinierend. Manchmal schwankte ich zwischen Abscheu und Mitleid hin und her, Jen Williams gelang es perfekt, mir einen Menschen zu präsentieren, der sich zu einem Monster entwickelte.
Schwerpunktmäßig lag der Fokus in der Gegenwart und auf Heather, die der Frage nach dem Warum im Zusammenhang mit dem Selbstmord ihrer Mutter nachging. Anfänglich mochte ich Heather, konnte mit ihr fühlen und spürte ihre Verzweiflung gepaart mit Verunsicherung sowie Angst. Doch im Verlauf der Geschichte wurde mir Heather immer unsympathischer. Besonders durch ihre teilweise rücksichtslose und stellenweise aggressive Art. Aber auch ihr Verhalten in unheimlichen Augenblicken empfand ich als völlig irrational. So hätte ich nie und nimmer reagiert und dadurch wurde mir Heather immer suspekter. Dies hatte leider auch zu Folge, dass ich sie nicht mehr mit Herzblut, sondern mit Abstand begleitete. So wirkten die Schockmomente einfach nicht mehr intensiv genug, um mich dauerhaft in einen Zustand des Fürchtens zu halten.
Dagegen mochte ich, dass sich beide Zeitebenen chronologisch weiterentwickelten und besonders die wohldosierten Beschreibungen der Schauplätze, insbesondere denen in der Natur, ein stimmungsvolles Bild erschufen. Eindrucksvoll waren jene Momente, wenn Jen Williams durch gegensätzliche Szenenbilder das Schaurige intensivierte. Abgerundet wurde das Ganze von ursprünglichen, grausigen Märchen aus dem Hause Grimm, die ein völlig neues Ende bereithielten. Oftmals fragte ich mich, ob mir hier eine versteckte Botschaft zuteilwürde. Generell bot mir „Der Herzgräber“ reichlich Platz für eigene Spekulationen.
Das Ende war irre und genial gelöst. Fast alle meine offenen Fragen wurden restlos und auch stimmig geklärt. Auch wenn mich nicht alles überrascht und ich das ein oder andere Rätsel schon gelöst hatte, fand ich den Gedanken hinter diesem Buch erschreckend lebensnah. Schade war wirklich nur, dass Heather diese Stimmung so massiv durch ihren Charakter drückte. Wäre sie um einiges sympathischer gewesen, „Der Herzgräber“ wäre ein Lesehighlight für mich geworden.
Fazit:
„Der Herzgräber“ ist kein Thriller, der auf bluttriefende Action setzte, sondern mit einem bedrohlichen, gruseligen Unterton erzählt wurde. Für Freunde von psychologisch aufgebauten Thrillern in jedem Fall eine Empfehlung.