"Verräter zahlen immer für ihre Sünden."
Nachdem ich in letzter Zeit vor allem Liebesgeschichten und Dystopien gelesen habe, musste meine nächste Lektüre mal wieder ein guter Fantasy-Roman sein. Wie passend war es, dass mit "Kill the Queen" noch ...
Nachdem ich in letzter Zeit vor allem Liebesgeschichten und Dystopien gelesen habe, musste meine nächste Lektüre mal wieder ein guter Fantasy-Roman sein. Wie passend war es, dass mit "Kill the Queen" noch ein sehr spannendes Rezensionsexemplar auf meinem Stapel lag, welches mein erstes Buch von Jennifer Estep sein sollte. Und wie gut, dass mich dieser Auftakt einer neuen Reihe mit seinen tollen Schauplätze, der spannenden Handlung, aber vor allem mit der sympathischen, starken Protagonistin überzeugen konnte!
Das Cover ist zwar im typischen, unspektakulären Jugendbuch-Fantasy-Stil gehalten, dafür aber raffiniert gemacht und gefällt mir gut. Zusehen ist die Silhouette einer Frau mit wehenden Haaren und Schwert, die von einer geheimnisvollen Winterlandschaft ausgefüllt ist, was sich interessant vom hellen, himmelartigen Hintergrund abhebt. Nette Details, die gut zum Inhalt passen sind die schwarzen Federn, die vom Himmel herabregnen und die kleine blutige Splitterkrone, die auf dem "Q" im goldenen Titel thront. Auch innerhalb der Buchdeckel ziehen sich diese beiden Motive als roter Faden durch die Gestaltung. Jedes der 31 Kapitel wird von einer Krone überragt und die Anfangsseiten der drei großen Abschnitte, in die die Geschichte außerdem geteilt ist, werden mit den Federn geziert. Sehr schön ist auch die minimalistisch gezeichnete und sehr hilfreiche Karte, die in beiden Leselaschen abgedruckt ist.
Erster Satz: "Der Tag des königlichen Massakers begann wie jeder andere."
Schon mit dem ersten Satz macht die Autorin klar: diese Geschichte wird alles andere als langweilig. Nach einer kurzen Einführung in Evies Leben im Palast als "königliche Lückenbüßerin", die aufgrund ihrer fehlenden magischen Kraft zu allerlei langweiliger Events gehen und dort die Königsfamilie repräsentieren muss, geht es direkt mit einem blutigen Massaker weiter, das Evie nur mit Glück und knapp überlebt. Aufgrund ihrer geheimen Immunität gegen Magie, die sie seit dem Attentat auf ihre Eltern vor der Welt verborgen hält, entkommt sie der Verschwörung der Kronprinzessin Vasilia, doch wohin soll die mittellose Waise nun gehen? In ihrer Verzweiflung erinnert sie sich an die rätselhaften letzten Worte der sterbenden Königin, die sie zu ihrer ehemaligen Leibwächterin Serilda Swanson schickte, die nun in der Stadt eine berühmt-berüchtigte Gladiatorentruppe trainiert. Unter falschem Namen wird sie Teil der zirkusähnlichen Gruppe und trifft auf Akrobaten, Fabelwesen, bunte Figuren, enger Zusammenhalt aber auch blutige Kämpfe, Eifersucht, Machtspielchen und harte Trainings. Doch mit der Schlangengrube, in der sie sich im Palast jahrelang lächelnd durchkämpfen musste, ist die Arena ein Klacks und so beginnt die wütende Evie aus all ihren Talenten das Beste herauszuholen, lernt ihre versteckten Stärken einzusetzen und bereitet sich so auf den entscheidenden Kampf vor: ihre Rache an Vasilia.
Durch den dramatischen Beginn, wird man sofort gepackt und in die Geschehnisse in Bellona hineingezogen. Zwar erfindet die Autorin das Rad hier nicht neu - wir verfolgen eine Außenseiterin mit einer geheimen Gabe, die durch einen Schicksalsschlag zur Auserwählten wird, kämpfen lernt und ihr Königreich rettet -, doch trotz dass wir die Grundbausteine schon kennen, ist der Stoff so unterhaltsam und ansprechend aufgerollt, dass das kaum stört. Im Gegenteil: Jennifer Estep nutzt hier gezielt Fantasy-Klischees um uns zu unterhalten und holt das Beste aus jedem einzelnen hinaus ohne ins Unglaubwürdige oder Langweilige abzudriften. Die Außenseiterin mit der geheimen, versteckten Macht wird zusätzlich zu ihrer Immunität mit einer "Murksgabe", also einem verbesserten Geruchssinn, ausgestattet, der sie entgegen des Spotts aller in vielen Situationen weiterbringt als die machtvollste Blitzmagie. Der geheimnisvolle, starke Krieger/Prinz, in den sich die Protagonistin verliebt, wird nicht zum großen Retter sondern bleibt sehr im Hintergrund und wird auf den zweiten Teil vertröstet, während die Heldin sich selbst retten darf. Die typische Liebesgeschichte bleibt sehr dezent im Hintergrund, verkommt aber auch nicht zum unnötigen Beiwerk um die Story aufzuhübschen. Und sogar die typische hilfloses-Mädchen-lernt-im-Handumdrehen-kämpfen-und-besiegt-alle-Gegner-Nummer ist hier sehr glaubwürdig geschildert. Die Handlung ist also zwar alles andere als neu oder unvorhersehbar, durch geschickte Erzählweise und nette Details liest sich die Geschichte aber dennoch einfallsreich und spannend.
"Die Herrinnen des Sommers sind schön und apart. Mit hübschen Bändern und Blumen so zart. Die Herrinnen des Winters sind kalt und hart. Eisige Kronen aus Splittern sind ihre Art."
Eine weitere große Stärke der Geschichte ist, dass sie sich nicht auf ihrem spannenden Beginn ausruht und danach ins Erklärende abdriftet. Mit spannenden Kämpfen, Intrigen, Geheimnissen, Reisen durch mehrere Königreiche, der Vorstellung von Fabelwesen wie Gargoyles oder Strixen und dem Kennenlernen von verschiedenen Arten von Magiern - Murkse, die eine verbesserte Körpereigenschaft besitzen, Morphe, die sich in Monstergestalten verwandeln, Magier, die Elemente kontrollieren und Meister, die aus Materialien die beeindruckendsten Dinge herstellen können - bekommen wir zu jeder Zeit genügend Neues präsentiert. Dabei sind die Informationen über Setting und Figuren eher beiläufig platziert und lassen mehr Raum für die aufs Ganze gehende Handlung, als ich vom Auftaktband einer Reihe erwartet hätte. Statt seitenlang über Geschichte, Bräuche, Königreiche, Hierarchien und Landschaften zu schwafeln, liest sich "Kill the Queen" wie eine spannende, abgeschlossene Geschichte und leidet trotz dass wir eine gute Vorstellung der High Fantasy Welt erhalten, nicht unter den Schwächen eines halbherzigen Reihenauftakts. Dabei hilft auch der für High Fantasy recht temporeiche und dynamische Erzählstil, der die Handlung zu jeder Zeit vorwärts treibt und Längen verhindert, auch wenn die Autorin nicht mit Details und Beschreibungen an den richtigen Stellen geizt.
"Wir sind deine Freunde, Evie. Das bedeutet, dass deine Probleme auch unsere Probleme sind." Paloma zuckte mit den Schultern, dann verzog ein trockenes Grinsen ihre Lippen.
"Deine Probleme beinhalten nur zufällig das Schicksal ganzer Königreiche."
Eine tragende Säule der Geschichte ist auch die sympathische, starke Protagonistin, Lady Everleigh Saffira Winter Blair, kurz Evie. Sie ist voller Wut, kalter Berechnung und Entschlossenheit aber auch voll Mitgefühl, Wärme und dem genau richtigen Maß an zerbrechlichem Selbstbewusstsein, sodass man ihr ihren täglichen Kampf mit Freuden abnimmt. "Kill the Queen" ist kein wirkliches Jugendbuch - nicht nur weil hier viele blutige Kämpfe ausgetragen werden und gelegentlich auch Schwangere, Hilflose und Kinder abgeschlachtet werden, sondern auch weil die Protagonistin mit ihren 28 Jahren außergewöhnlich "alt" ist. Dass war für mich natürlich eine nette Abwechslung, aber dadurch ist Evie vielleicht nicht die beste Identifikationsfigur für 14jährige, sondern spricht eher etwas ältere Leserinnen an. Sie ist sehr viel erfahrener, selbstbewusster, reifer und gefestigter als die üblichen Fantasy-Protagonistinnen, was die Story von viel Geschmachte, emotionalen Schwankungen, Peinlichkeiten und einer ellenlangen Selbstsuche befreit und mir sehr zugesagt hat. Das bedeutet nicht, dass sie sich nicht entwickeln würde, im Gegenteil: wie sie beginnt, sich nichts mehr gefallen zu lassen und ihre Stärken offen auszuspielen ist nicht nur amüsant sondern auch beeindruckend zu verfolgen.
"Manche Leute würden es hübsch umschreiben, es Entschlossenheit oder Antrieb oder Ehrgeiz nennen. Doch ich nenne die Dinge gerne beim Namen - und es ist Wut." (…)
"Meistens ist Wut heiß, leichtsinnig, dumm. Aber deine Wut ist kalt, kontrolliert, voller Kalkulation. Kalte Wut ist immer die beste Wut."
Doch die Protagonistin bleibt nicht die einzige starke Frau, die sich nichts sagen lässt und die wir hier bewundern dürfen. Neben der gefährlichen Meistergladiatorin und Ausbilderin Serilda Swanson, der starken Kämpferin und Freundin Paloma und der gerissenen Tanzlehrerin und Spionin Xenia, ist auch die Antagonistin, die skrupellose Kronprinzessin Vasilia, eine starke Frau (wenn auch eindeutig verrückt). Ich bin ein großer Fan von feministischer Fantasy, in der es Königinnen und Kämpferinnen gibt, die sich nicht von irgendwelchen Rittern retten lassen oder von gutaussehenden Prinzen abgelenkt werden, sondern selbst das Heft in die Hand nehmen, wodurch Jennifer Estep noch weitere Pluspunkte sammeln konnte.
"Verräter zahlen immer für ihre Sünden."
Neben der Haupthandlung erhalten wir auch an und an spannende Rückblicke in das frühere Leben der Protagonistin, die auch deren Beziehung zur Antagonistin Vasilia beschreiben und uns Hintergründe der Handlung besser verstehen lassen. Was es mit dem gutaussehenden andvarischen Bastardprinzen, Magier und Gladiator Lucas Sullivan, kurz Sully, auf sich hat, mit dem Evie immer wieder aneinander gerät, wie er bei der Gladiatorengruppe "Schwarzer Schwan" gelandet ist und wie sich die Spannungen zwischen ihm und unserer Protagonistin entwickeln werden, wird auf den nächsten Teil vertröstet, genau wie weitere Entwicklungen nach dem relativ abrupten Ende. Mit einer kurzen Leseprobe wurde uns schon der nächste Teil der Trilogie, "Protect the Prince", schmackhaft gemacht, der alle offenen Fragen aufnehmen und alle in der Luft hängenden Stränge wieder aufnehmen wird, für den aber noch kein Veröffentlichungstermin feststeht. Ich bin schon sehr gespannt, wie es mit Evie, Sully, Paloma, Serilda, Xenia, Cho und Co weiter gehen wird und hoffe, der Verlag lässt sich nicht zu viel Zeit
Fazit:*
Dieser Auftakt der neuen Reihe "Splitterkrone"-Reihe überzeugt mit seinen tollen Schauplätze, dem temporeichen Erzählstil, dem Fokus auf die spannende Handlung, aber vor allem mit der sympathischen, starken und reifen Protagonistin! Die Handlung ist zwar alles andere als neu oder unvorhersehbar, durch geschickte Erzählweise, die gezielte Nutzung von Fantasy-Klischees und nette Details vermeidet Jennifer Estep jedoch die Schwächen eines Reihenauftakts und die Geschichte liest sich dennoch einfallsreich und spannend.