Der Autor startet seinen Thriller spektakulär, blutig und geheimnisvoll. In der Nähe des Tatorts wird ein schwer verletzter Mann aufgegriffen, der sofort unter Tatverdacht gerät. Bevor er ins Koma fällt, verlangt er nach Emelie Jansson als Verteidigerin. Sie ist eine vielversprechende Wirtschaftsanwältin, die ganz am Anfang einer steilen Karriere in einer renommierten Kanzlei steht. Strafverteidigung ist nicht ihr Metier und ist ihr sogar explizit untersagt. Dennoch übernimmt sie den Fall heimlich. Immerhin kann sie ein ehemaliges Mitglied der serbischen Mafia für ihre Ermittlungen einspannen. Dieser Mann, Teddy, hat seine Verbrecherkarriere beendet, aber das Leben ist nun mal nicht aufgeteilt in sauberes Schwarz und Weiss. Teddys Neffe Nikola hat sich nämlich schon wenige Tage nach der Entlassung aus dem Jugendknast entgegen aller Warnungen bis zum Hals in neue Schwierigkeiten gebracht. Die Erzählperspektive wechselt ständig zwischen diesen drei Personen, unterbrochen nur von geheimnisvollen Verhörprotokollen eines Mats Emanuelsson, der schon längst Selbstmord begangen hat. Die Zusammenhänge decken sich nur langsam auf, die Erzählweise ist meistens fern jeder Hektik. Es wird, wie so oft bei schwedischen Krimis, der Fokus auf die Personen gelegt: ihren Charakter, ihr Leben, ihre Denkweise. Als Leser versteht man die Motive, die sie vorantreiben und sie zwingen, so zu handeln, wie sie es letztendlich auch tun. Hier in diesem Buch ist es gerade dieser Mats Emanuelsson, der immer mehr in den Vordergrund rückt. Ein Zahlengenie, ein buchhalterischer Zauberkünstler, der den Hals nicht voll kriegt, der den Ausstieg aus den mafiösen Strukturen nicht schafft und seine Ehe und Familie daran zerbrechen läßt, anstatt sich Hilfe zu holen.
Jens Lapidus hat auf sehr ruhige Art eine Spannung aufgebaut, die bis zur letzten Seite anhält. "Schweigepflicht" ist für mich kein Pageturner gewesen, sondern ich konnte immer gut zwischendurch Pause machen und fand hinterher schnell wieder hinein. Vielleicht läßt mich deshalb die Handlung nicht so schnell los. Absolut genial ist allerdings der Schluss, denn obwohl die Romanhandlung völlig in sich abgeschlossen ist, gibt es einen zündenden Cliffhanger für einen Folgeband. Sehr elegant und tricky gelöst.