Viel zu dick aufgetragen
Eine Liebesgeschichte über das Vergessen und das Wiederfinden sollte es sein, passend zum romantisch-schönen Cover. Was im Klappentext wie eine ganz besondere Liebesgeschichte klingt, war beim Lesen eine ...
Eine Liebesgeschichte über das Vergessen und das Wiederfinden sollte es sein, passend zum romantisch-schönen Cover. Was im Klappentext wie eine ganz besondere Liebesgeschichte klingt, war beim Lesen eine herbe Enttäuschung. Ich liebe lebendige Romane – Geschichten, bei denen man mit den Protagonisten mitstaunen, mitfiebern und sich mitfreuen kann. Ich will lesen, wie Menschen Probleme überwinden, über sich hinauswachsen, sich weiterentwickeln, es muss knistern und funkeln. All das bietet der vorliegende Roman leider nicht, denn die beschriebene Liebesgeschichte ist bereits erdrückend perfekt. Wenn eine Beziehung schon gefühlte 150% perfekt ist, wie soll es dann noch Luft nach oben für eine Verbesserung geben?
Inhalt: Die frischverheiratete Jemma leidet nach einem schweren Autounfall an einer Amnesie. Um seine Frau nicht zu verlieren beginnt ihr ihr Mann Braxton, Briefe über gemeinsame Erlebnisse zu schreiben und ihr kleine Bettarmbandanhänger zu schicken – in der Hoffnung, dass dadurch die Erinnerung zurückkommt…
Jemma und Braxton sind DAS ultimative Traumpaar. Durch die Briefe erfährt der Leser, wie Braxton seine Jemma von Kindheit an regelrecht vergöttert, er lebt für und durch sie. Dabei irritiert, dass die beschriebenen Gedanken oft nicht zu einem Kind passen. Es kommt über die Jahre auch nicht zu, eigentlich natürlichen, Veränderungen dieser Beziehung. Diese übermächtige und ungesund besitzergreifende Liebe ist in all ihrer vermeintlichen Perfektion – zumindest in meinen Augen – starr und deswegen langweilig.
Sie eignet sich nicht zum Wegträumen. Was Braxton zum Traummann nämlich fehlt ist eine eigenständige interessante Persönlichkeit. So bleibt die Figur künstlich und blass und ich kann nur sagen: Ein Mann wie Braxton: nein danke! Es wäre schön gewesen, hätte man als Leser gemeinsam mit Jemma eine interessante Figur neu kennenlernen können.
Stattdessen bleibt der Fokus auf der Vergangenheit, die Rahmenhandlung in der Gegenwart ist dürftig und auf die Liebesgeschichten von Jemma und die ihrer Eltern reduziert. Praktische Fragen, die man sich beim Lesen fast zwangsläufig stellt, werden ausgeklammert. Die Amnesie dient als Aufhänger für die Briefe und wird nicht weiter thematisiert, längerfristige physische oder psychische Folgen hat sie nicht. Jemma kehrt in ihr Leben zurück und bleibt bis auf vereinzelte Ausnahmen inaktiv, die Briefe bilden fast ihre einzige Informationsquelle. Diese Passivität nervt beim Lesen zunehmend, man wünscht ihr – bildlich gesprochen – einen Tritt in den Hintern und fragt sich, wie es denn sein kann, dass ein Mensch in einer derartigen Situation sich so gar nicht auf die Suche nach der eigenen Identität und den eigenen Talenten macht. Sie hätte sich ausprobieren können, anstatt die Dinge brav so zu machen, wie sie sie immer gemacht hat. Dabei vermutlich an den anderen und an sich selbst neue Seiten entdeckt – alles mit der Gewissheit und Sicherheit dass sie von ihrem gesamten Umfeld unterstützt und geliebt wird.
All diese Aspekte zusammengenommen kann ich nur sagen, dass hier eine tolle Grundidee, nämlich dass sich Liebende neu kennenlernen können, ohne das notwendige Minimum an Realismus sehr verkitscht umgesetzt worden ist. Dadurch wird die Handlung ab der Hälfte sehr vorhersehbar. Hartgesottene Happy End-Fans werden bei den gefühlvollen Briefen – dem Highlight des Buches –dahinschmelzen – allen anderen würde ich abraten. Ich vergebe daher 2 Sterne, einen für einen Schreibstil, der mir gut gefallen hat, den zweiten für eine gute Idee, aus der man so viel mehr hätte machen können.