In weiter Ferne und doch so nah
Das schlimmste, was einer Autorin passieren kann, ist eine Schreibblockade. Und um diese zu überwinden, fährt Franzi zurück in das Haus am Leuchtturm an der Ostsee, wo sie unvergessliche Stunden ihrer ...
Das schlimmste, was einer Autorin passieren kann, ist eine Schreibblockade. Und um diese zu überwinden, fährt Franzi zurück in das Haus am Leuchtturm an der Ostsee, wo sie unvergessliche Stunden ihrer Kindheit verbracht hat. Die guten Ideen für den neuen Trhiller sollen ihr mit der frischen Brise ins Haus wehen und daraus den nächsten Bestseller formen. Als Franzi zufällig ein altes Tagebuch zwischen einem losen Dielenbrett findet, beginnt sie neugierig zu lesen und taucht in die Lebensgeschichte von Else ein , die einst, wie sie, im Leuchtturmhäuschen aufgewachsen ist....
Ich bin gerade noch vollkommen begeistert, fasziniert und beeindruckt von diesem unglaublich intensiven Leseerlebnis, das das gnadenlose und gebieterische Regime der DDR wieder auferstehen lässt. Kathleen Freitag beweist viel Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen, um hier das vorherrschende politische Klima und die damit verbundenen Lebensbedingungen als bedrückende und angespannte Atmosphäre für ihren Roman zu nutzen.
Ständig hat man das Gefühl, selbst beoachtet und überwacht zu werden und so sensibiliert die Schreibende den Leser für die Situation von Ort. Immer wieder taucht die Frage auf, wem man noch trauen kann und wer denn der so gewissenlos ist, um Freunde und Nachbarn bei der Stasi anzuschwärzen.
Die Erzählung ist in zwei Zeitstränge unterteilt und beide können den Leser sofort von sich einnehmen. Die Schilderungen von Else, Lulu und Otto in der DDR 1962 setzen sich kritisch mit dieser Zeit auseinander und lassen den Leser den Ummut der drei Freunde spüren, der sich immer mehr in ihnen ausbreitet. Die Gefühle und Gedanken der Protagonisten sind für den Leser frei zugänglich und man liest in ihnen wie in einem offenen Buch. Der immer größere werdende Drang nach Freiheit und einem selbstbestimmten Leben wird mit jeder Zeile deutlicher und man fiebert mit den dreien mit, wenn es um ihr waghalsiges Vohaben geht.
Der Zeitsprung dreißig Jahre später ins Jahr 1992 fördert die Geheimnisse zutage, die so lange im Verborgenen gelegen haben. Franzi ist die Neugier anzumerken und das Auseinandersetzen mit der deutsch-deutschen Geschichte, die ja auch ihre eigene Familie betrifft, wird von der Schreibenden sehr feinfühlig, aber dennoch mit kraftvollen Worten beschrieben.
Der Roman liest sich wie ein großes geschichtliches Abenteuer und doch ist er eine gelungene Verschmelzung von Realität und Fiktion, bei dem die Grenzen verschwimmen und sich der Leser immer wieder am Haupthandlungsort, dem Leuchtturm einfindet. Er ist Mahnmal, Richtungsgeber und Hoffnungszeichen zugleich und spielt im Leben der Protagonisten eine wichtige Rolle.
Kathleen Freitag hat hier mal wieder bewiesen, dass sie mit ihrem Roman für echte Glanzpunkte am Lesehimmel sorgt - ich könnte mir sogar sehr gut eine Verfilmung ihres Buches vorstellen, denn diese Geschichte ist ganz, ganz großes Kino !