Lebenskrisen, emotionale Verletzungen und Phasen der Ineffizienz sind seit jeher Teil des Menschseins. Doch im digitalen Zeitalter zeigt sich eine immer größere Entschlossenheit, derartige Zustände krankhaft zu deuten. Social-Media-Plattformen sind voll mit psychiatrischen Diagnosen. Begriffe wie „Trauma“, „triggern“ und „toxisch“ werden inflationär verwendet. Eigen- und Fremddiagnosen gehen leicht von den Lippen. Wo aber liegt die Grenze zwischen Enttabuisierung und Verherrlichung? Präzise analysiert die Soziologin Laura Wiesböck die Ursachen und Folgen des Trends um „Mental Health“. Ein zeitgemäßes Buch und ein Plädoyer für das Aushalten emotionaler Ambivalenzen.
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In Laura Wiesböcks „Digitale Diagnosen“ geht es um die immer häufiger anzutreffende Tendenz, in sozialen Medien auf psychiatrische Diagnosen zu treffen.
Die Soziologin hat kein populärwissenschaftliches ...
In Laura Wiesböcks „Digitale Diagnosen“ geht es um die immer häufiger anzutreffende Tendenz, in sozialen Medien auf psychiatrische Diagnosen zu treffen.
Die Soziologin hat kein populärwissenschaftliches Buch geschrieben, das mit übermäßig vielen Beispielen und langen Einleitungen die Seiten füllt, sondern sie dringt recht zügig zum Kern des Themas vor und beleuchtet gut verständlich die verschiedenen Seiten der Problematik.
„Ich habe einen Ohrwurm - ist das ADHS?“
Oder ähnliche haltlose Theorien, die in den sozialen Plattformen des Internets aber so zu Millionen von Klicks und Likes führen, werden analysiert und entmystifiziert.
Es wird deutlich unterschieden zwischen positiver Aufklärung über Krankheitsbilder und dem monetären Profit, den diverse Influencer aus den Sorgen der Follower schlagen.
Nach der Lektüre fiel es mir leichter, diverse Begriffe genauer zuordnen zu können und den Gefahren, die mit einer Relativierung psychischer Krankheiten einhergehen, besser entgegentreten zu können.
Das Buch ist mir sofort aufgefallen. In letzter Zeit ist mir immer häufiger aufgefallen, was für eine Relevanz mentale Krankheiten auf Social Media haben. Es werden Tipps vermittelt, der Alltag ...
Das Buch ist mir sofort aufgefallen. In letzter Zeit ist mir immer häufiger aufgefallen, was für eine Relevanz mentale Krankheiten auf Social Media haben. Es werden Tipps vermittelt, der Alltag gezeigt oder vereinfacht Symptome dargestellt. Demnach kommt das Buch genau zur richtigen Zeit. Ich denke das Buch ist vorallem, für Menschen relevant die viel Zeit auf Social Media verbringen um sich für solche Einflüsse zu sensibilisieren.
Ich habe sehr leicht in das Buch hinein gefunden, die Kapitel sind Kurz und die Sprache ist prägnant und einfach. Trotz dessen, dass es sich um ein Sachbuch Handel und aufgrund der ganzen Informationen lässt sich das Buch sehr angenehm lesen.
Mir hat gefallen, wie viele unterschiedliche Seiten der Thematik beleuchtet werden und wie viele echte Beispiele und Personen herangezogen werden um die Thematik zu verdeutlichen.
Erschreckend sind die ganzen selbsternannten Heiler und Therapeuten, aber auch die echten, die auf Social-Media-Kanälen wie TikTok oder Instagram Geld mit der vermeintlichen Krankheit anderer Leute machen. ...
Erschreckend sind die ganzen selbsternannten Heiler und Therapeuten, aber auch die echten, die auf Social-Media-Kanälen wie TikTok oder Instagram Geld mit der vermeintlichen Krankheit anderer Leute machen. Und dabei liefern sie selbst erst einmal die Definitionen, mit Hilfe derer sich unsichere, überforderte, in dieser großen, weiten Welt orientierungslose Menschen eine Krankheit diagnostizieren, deren Lösung dann wieder in der Ratsuche auf eben jenem Kanal besteht, der einem die Diagnose bescherte. Ein Teufelskreis, wie es scheint!
In ihrem Buch „Digitale Diagnosen“ erklärt Laura Wiesböck sehr klug und weitsichtig die Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichen Definitionen von Gesundheit und Krankheit und darauf basierenden Heilsversprechen des Internets. Dabei zeigt sie stets Respekt für alle medizinisch diagnostizierten psychischen Erkrankungen und verneint auch nicht die Errungenschaften moderner digitaler Kommunikation, die für die Betroffenen Möglichkeit des Austausches mit Leidensgenoss:Innen sein kann, Enttabuisierung bestimmter Krankheitsbilder möglich macht und den Erkrankten eine Plattform bietet, sich anonym öffnen zu können. Insbesondere auch dann, wenn professionelle Hilfe nicht erreichbar oder finanzierbar ist. Gleichzeitig zeigt sie aber auch sehr deutlich, welches Schindluder auf allen Seiten mit diesem Trend betrieben wird: Da sind zum einen die, die es besser wissen müssten: die ausgebildeten professionellen Therapeuten, die auf einen Trend aufspringen, um an den großen finanziellen Gewinnmöglichkeiten beteiligt zu sein. Da sind die Influencer:Innen, die ohne Vorbildung und oft ohne Kenntnis, Bilder von dem entwerfen, was einen gesunden Menschen ausmacht, oder sich zu einem ästhetischen Bild des leidenden Kranken stilisieren, das sich gut vermarkten lässt, gestützt auf eine ganze Industrie von Selfcare-Produkten und Angeboten, mit denen man Menschen auf der Suche nach einem Sinn im werte- und traditionsleeren Leben ködern kann. Und dann sind dann zum Schluss eben diese Menschen, die häufig nach medizinischen Standards vielleicht gar nicht krank sind, sondern gerade eine miese Zeit haben, ein Tief oder eine schlechte Erfahrung gemacht haben, die zum menschlichen Leben dazugehört wie die Sonnenseiten. Diese nutzen dann die angebotenen Diagnoseverfahren, die ihnen ermöglichen, sich ein Krankheitsbild anzueignen, das sie von jeder Selbstverantwortung, das Leben wieder auf die Reihe zu kriegen, entbindet oder für das es im Netz zahlreiche „Therapiemöglichkeiten“ gibt, die der Selbstoptimierung mit dem Versprechen der Heilung dienen.
In Anbetracht eines zunehmenden Trends, die Sinnleere des eigenen Lebens mit Achtsamkeits-, Meditations-, Yoga oder sonstigen Lifestyle-Retreats zu füllen, ist dies ein wichtiges Buch, das eine ganze Industrie hinter diesem Trend entlarvt und der Gesellschaft den Spiegel vorhält, die das, was gesund ist, zu wenig schätzt und diejenigen, die wirklich krank sind, nicht genügend ernst nimmt, wenn sie glaubt, Krankheit mit einem Videotutorial oder frei verkäuflichen Gesundheitspräparaten welcher Art auch immer begegnen zu können.
Die Autorin spricht in diesem Buch ein sehr aktuelles und wichtiges Thema an, nämlich psychische Krankheiten in social media. Dabei pickt sie die Häufigsten heraus und erklärt sie kurz und einfach und ...
Die Autorin spricht in diesem Buch ein sehr aktuelles und wichtiges Thema an, nämlich psychische Krankheiten in social media. Dabei pickt sie die Häufigsten heraus und erklärt sie kurz und einfach und beschreibt das Problem, dass diese Krankheiten zu oft falsch und ohne wirkliches Wissen diagnostiziert werden. Sie erklärt dabei alles verständlich und sachlich mit gerade so vielen Fachwörtern, sodass man alles auch als Laie einfach verstehen kann, ohne die ganzen Begriffe nachschauen zu müssen. Richtig gut finde ich außerdem, dass sie alles ganz ohne Wertung schreibt. Sie sagt zwar, dass viele, die von sich behaupten eine psychische Krankheit zu haben, diese meist nicht haben, aber dennoch ein Problem zugrunde liegt, welches nicht ignoriert werden sollte. So regt sie zum Nachdenken an und man geht anders mit Menschen im Alltag um, weil man anfängt eher darüber nachzudenken welche Ursache ein Problem hat, anstatt wie man dieses Problem bezeichnen kann und so vielleicht besser helfen oder einfach damit umgehen kann. Dazu regt das Buch dazu an sich mehr Gedanken im Umgang mit social media zu machen. Daher finde ich das Buch super, nicht nur durch das Thema, sondern auch wie die Autorin dieses Thema einfach, leicht und sachlich näher bringt, ohne irgendwen zu verurteilen.
"Digitale Diagnosen: Psychische Gesundheit als Social-Media-Trend" von Laura Wiesböck ist ein hochaktuelles und sehr wichtiges Buch.
Aktuell ist es im Trend, dass sich Menschen selbst Diagnosen für psychische ...
"Digitale Diagnosen: Psychische Gesundheit als Social-Media-Trend" von Laura Wiesböck ist ein hochaktuelles und sehr wichtiges Buch.
Aktuell ist es im Trend, dass sich Menschen selbst Diagnosen für psychische und neurologische Erkrankungen stellen:
"Die Fülle der Informationen und ästhetisierten Bilder im Bereich psychischer Krankheiten ist verbunden mit dem Trend, dass ich immer mehr Nutzer:innen selbst eine Diagnose stellen, ohne medizinisches Fachpersonal zu konsultieren."
"Was sagt es über eine Gesellschaft aus, wenn der Schmerz über den Verlust einer nahestehenden Person als Krankheit klassifiziert wird? Ist Traurigkeit mittlerweile zu einem Symptom worden, dem es lösungsorientiert zu begegnen gilt? Welche Funktion erfüllt die Schematisierung und Pathologisierung von leidvollen Erfahrungen? Und was hat Gereiztheit mit psychischer Gesundheit ("Mental Health") zu tun? Ist ein dünnes Nervenkostüm nicht ein nachvollziehbarer Zustand für Mütter, die unter dauerhaftem Schlafmangel, fordernden Betreuungspflichten, mangelnder Unterstützung und hohen gesellschaftlichen Erwartungen leiden? Oder können Menschen sich mittlerweile nur mehr eine legitime Auszeit erlauben, wenn sie auf ihre Gesundheit verweisen?"
Die Soziologin Laura Wiesböck analysiert auf sehr gut verständliche Art und Weise die Ursachen und Folgen dieses Trends rund um das Thema "Mental Health".
Sie zeigt die hieraus entstehenden Gefahren auf wie Fehldiagnosen und "Genesungshindernisse", erklärt Begriffe wie "toxisch", "triggern" und "Trauma" sowie deren zunehmende bzw. übermäßige Verwendung.
"Die umgangssprachliche Trivialisierung von psychopathologischen Begriffen zeigt sich auch darin, dass universelle Merkmale des menschlichen Daseins, wie Trennungen, Enttäuschungen oder Erfahrungen des Scheiterns, vermehrt als "Traumata" bezeichnet werden. Das kulturelle und soziale Konzept von "Trauma" in der Alltagssprache schließt Erfahrungen ein, die zwar verletzen oder verärgern, aber integraler Bestandteil des Lebens - und keine außerordentlichen Schockerlebnisse sind."
"Das kann mitunter auch im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Erzählung stehen, das persönliche Entwicklungsschritte erst oft nach traumatisierenden Erfahrungen stattfinden ("posttraumatisches Wachstum"). Wer lernt, dass ein Trauma die Grundlage ist, um wachsen oder "healen" zu können bzw. zu dürfen, wird sich eher an einer traumatisierenden Deutung von gewaltvollen Ereignissen oder Erfahrungen orientieren."
"Kommt in einem Gespräch der Hinweis, "getriggert" zu werden, dient dies als Schutzmechanismus, um eine weitere Auseinandersetzung oder vertiefende Argumentation zu unterbinden. Damit kann die Begriffsverwendung auch als soziales Machtspiel eingesetzt werden, indem die Verantwortung für nicht verarbeitete Traumata an das Gegenüber verschoben wird ("Du hast mich getriggert").
Sie wirft einen Blick auf Influencer:innen und die Gefahr der Nachahmung, besonders was Jugendliche angeht.
"Das birgt vielfältige Risiken. Denn die Mehrheit der Mental-Health-Influencer:innen besitzt keine Ausbildung- oder Berufsqualifikationen, um als Expert:innen auf dem Gebiet von psychiatrischen Erkrankungen zu gelten. Bis dato gibt es keine Regulierung und Standards dafür, anerkannte wissenschaftlich oder medizinisch begründete Kriterien einzuhalten. Das zeigt sich auch in den von Laien verbreiteten Informationen über psychiatrische Diagnosen, die häufig unzutreffend oder stark verkürzt sind."
"Influencer:innen kommt dementsprechend eine wichtige Rolle in der Popularisierung von Diagnosen zu. Sie können andere dahingehend beeinflussen ("influencen"), eine psychische Erkrankung für anstrebenswert zu halten, ob sie das selbst beabsichtigen oder nicht, spielt in der auf Nachahmung ausgelegten Struktur keine Rolle "
Auch das Kapitel "Mental Health und Selfcare als Wohlstandsphänomen" fand ich sehr gut geschrieben.
"Selfcare bei Frauen wird dann zu einer Verknüpfung von Jugendlichkeit, Weiblichkeit, Konsum, Autonomie und Transformation. Es gilt, effizienter, fitter, flexibler, widerstandsfähige, positiver und resilienter zu werden, dabei jung und attraktiv auszusehen und gesellschaftlich möglichst wenig Kosten zu verursachen. Damit stehen Frauen nicht nur im Wettbewerb mit anderen, sondern auch mit sich selbst, konkret mit einer "besseren Version" ihrer selbst. Nach dieser Logik gibt es keine Zeit, in der das jetzige Selbst ausreicht oder vielleicht sogar zufrieden stellt."
Das Kapitel "Plädoyer für zwischenmenschliche Ambivalenz und Trost" bringt das Buch perfekt zum Abschluss.
"Wenn von psychischen Abweichungen die Rede, sollte sich eigentlich immer auch die Frage stellen, wovon eigentlich abgewichen wird."
"Die Zuschreibung einer Diagnose erfüllt für Menschen zahlreiche individuelle Stabilisierungsfunktionen. So können Diagnosen als eine offizielle Anerkennung von Leid und Dysfunktionalitäz gesehen werden, in einer auf sichtbare Produktivität ausgelegten Gesellschaft, die dafür kaum mehr legitimen Platz hat, in der Ineffizienz oder Traurigkeit im Gegenteil eher als Kompetenzverlust gesehen werden."
Das Buch bekommt von mir eine ausdrückliche Leseempfehlung - ein wichtiges Thema, hervorragend analysiert und großartig geschrieben!
"Definitionen von "krank" und "gesund" sind keine objektiven Parameter. Sie sind sozial konstruiert, gesellschaftlich vermittelt, unterliegen spezifischen "Moden" und sind abhängig von unterschiedlichen Interessen und vorherrschenden Werten."
"Sich in Symptombeschreibungen auf sozialen Medien wiederzuerkennen, bedeutet jedoch erst einmal nichts anderes, als ein bestimmtes Verhalten an sich zu beobachten. Wenn man Muster wie Hyperaktivität und Impulsivität an sich wahrnimmt, und nicht zuerst die Frage nach der Art der psychischen "Störung" stellt, die sich darin manifestiert, sondern nach potentiell dahinter liegenden Ursachen, dann würde sich ein großer Raum eröffnen, der unterschiedliche, oft langwierige und herausfordernde Herausgehensweisen beherbergt, wie auch zahlreiche strukturelle Einschränkungen für die Verbesserung des Zustands. Mit einer konkreten Diagnose ist hingegen ein individueller Weg vorgegeben, der Handlungsfähigkeit verspricht und offene Fragen über das eigene Wohlbefinden scheinbar beantwortet."