Flügge werden
Eine Liebesheirat – die planen Yasmin und Joe im gleichnamigen Roman der britischen Autorin Moncia Ali. Was allerdings noch aussteht, ist das Kennenlernen ihrer Eltern, und die könnten kaum unterschiedlicher ...
Eine Liebesheirat – die planen Yasmin und Joe im gleichnamigen Roman der britischen Autorin Moncia Ali. Was allerdings noch aussteht, ist das Kennenlernen ihrer Eltern, und die könnten kaum unterschiedlicher sein: Yasmins Eltern sind bengalische Einwanderer, die ihre beiden Kinder in London zwar nicht traditionell, aber doch konservativ erzogen haben. Joes Mutter dagegen, eine bekannte Aktivistin, Autorin und Intellektuelle, hat bereits vor Jahrzehnten mit feministischen Nacktaufnahmen von sich Reden gemacht. Dass sie Yasmins Familie einlädt, Yasmins Mutter in ihrer Aufregung allerdings ein komplettes Abendessen unangekündigt vorkocht und mitbringt, macht es in den Augen der Tochter nicht einfacher. Doch wider Erwarten verstehen sich die künftigen Schwiegermütter gut – so gut, dass sie noch am gleichen Abend eine muslimische Zeremonie für die Kinder planen, die Yasmin gar nicht möchte. Doch im Laufe des Romans ergeben sich noch weitaus gravierendere Probleme …
Auf den ersten Blick scheint sich „Liebesheirat“ um den Culture Clash zwischen zwei Familien zu drehen, doch dieser Eindruck täuscht. Zwar sind Yasmin und Joe sehr unterschiedlich erzogen worden, doch dass die Mittzwanziger beide noch zu Hause wohnen und ihren Eltern bzw. Joe seiner Mutter nahestehen, scheint eher ein verbindendes als ein trennendes Element. Beide sind außerdem Ärzte und arbeiten im gleichen Krankenhaus – sie haben also einiges gemeinsam. Doch der Abnabelungsprozess aus dem Elternhaus fördert auch Probleme zutage, die bisher unter den Teppich gekehrt wurden. Bei Yasmin läuft es auch beruflich nicht ganz rund und so entstehen immer mehr Konflikte, über die aber wenig gesprochen wird. Konflikte, denen vor allem mangelnde Kommunikation, falsche Erwartungen und Unehrlichkeit zugrunde liegen. Monica Ali schneidet allerdings noch eine Fülle von weiteren Themen an – von Burn-Out über Pflegenotstand bis hin zu Rassismus wird vieles angesprochen und nimmt mal eine größere Rolle, mal aber auch nur eine Randnotiz ein. Überladen fand ich den Roman trotzdem nicht, war aber ab und zu irritiert, dass Figuren und Probleme zwar erwähnt, dann aber auch sang- und klanglos wieder fallengelassen wurden. Gleichzeitig hat „Liebesheirat“ durchaus kleine Längen bzw. ist Protagonistin Yasmin, aus deren Sicht die meisten Kapitel erzählt werden, bei einigen Themen so verbohrt, dass sie zumindest mir etwas auf die Nerven ging. Das Ende riss es dann wieder heraus. Dennoch ein Warnhinweis: „Liebesheirat“ ist keine Romanze, wie man aufgrund des Titels eventuell erwarten könnte. Aber ein vielschichtiger Roman über das Erwachsenwerden, den Bruch von Erwartungen, die Konfrontation mit der Vergangenheit und die Gestaltung der eigenen Zukunft. Die Hauptfiguren mögen schon etwas alt für einen Coming-of-Age-Roman sein, aber für mich passt die „Liebesheirat“ trotzdem in dieses Genre.