Inhalt:
Als Alyssa den Wasserhahn aufdreht, kommt kein einziger Tropfen heraus. Zunächst hält sie ihren Vater, den Heimwerker-Avantgardist, für verantwortlich. Doch kurz darauf erfährt Alyssa, dass dem nicht so ist. Die Medien berichten, dass die Nachbarstaaten Kalifornien die Wasserversorgung gekappt haben. Eine Information, die auf die Stimmung in Nachbarschaft und Familie drückt. Nachdem der erste Schock überwunden ist, fährt die Familie ins nahegelegene Einkaufszentrum. Dort finden sie aber nur noch leere Regale. Die Familie überlegt, wie sie sich vorläufig versorgen kann. Hilfe von der Bundesagentur für Katastrophenschutz (FEMA) lässt auf sich warten. Durchhalten ist das Gebot der Stunde.
Die „Helden“ in Krisenszenarien sind ja bekanntlich die Außenseiter des Alltags. Nur in wenigen Ländern boomt das Geschäft mit der Apokalypse so wie in den USA. Sogenannte Prepper bauen Bunker und sammeln Waffen und Lebensmittel, um für den großen Tag X bereit zu sein. Auch Alyssas Nachbarn, die McCrackens, sind vorbereitet. Der Sohn der Familie, Kelton, war für Alyssa immer ein Freak. Seine Hobbys reichen von Paintball über dronengesteuerte Luftaufklärung bis hin zu Exkursionstouren mit einem Nachtsichtgerät. Was Alyssa jedoch bislang nicht ahnte, war, dass Kelton ein Auge auf sie geworfen hatte. Nun ist sein Tag gekommen. Endlich kann er dem Mädchen zeigen, was in ihm steckt.
Als Alyssas Eltern aufbrechen, um sich über eine Hilfsorganisation mit neuen Wasservorräten zu versorgen, ist Alyssa auf sich selbst gestellt. Gemeinsam mit ihrem Bruder Garret, der zu kindlichen und manchmal naiven Taten neigt, versucht sie die Wartezeit zu überbrücken. Irgendwann muss sie sich eingestehen, dass Keltons Fähigkeiten ihr Überleben sichern könnten.
Der Tap Out, wie die Presse und die Einwohner die eingetretene Wasserknappheit nennen, hat gerade erst begonnen. Viele Menschen werden schon jetzt an die Grenze des Existenzminimums getrieben und versuchen um jeden Preis, ihr Leben zu bewahren. Dabei scheuen sie auch nicht vor Gewalt zurück, wie Alyssa später noch am eigenen Leib erfahren muss. Doch es wird auch schnell deutlich, dass viele dieser verzweifelten Menschen eine Familie zu ernähren haben und so förmlich gezwungen sind, etwas gegen ihre Notsituation zu unternehmen, auch wenn dies bedeutet, um ein Glas Wasser zu kämpfen.
Im Detail:
Es fing langsam an. Zuerst wurden Gesetzesinitiativen gegen leichtfertige Verschwendung von Wasser ins Leben gerufen. So wurde zum Beispiel das Befüllen von Swimmingpools untersagt. Doch nur wenige der Einwohner von Kalifornien haben sich diese ersten Warnungen wirklich zu Herzen genommen. Als von einem Tag auf den anderen das Wasser abgestellt wird, brechen panikartige Zustände aus. Die Supermärkte sind überlaufen. Jeder möchte sich einen Vorrat an Wasser oder/und anderen Getränken zulegen.
Neil & Jarrod Shusterman erzählen die Geschichte von „Dry“ unter anderem aus der Perspektive von Alyssa, einem Mädchen, das gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder, dem zugezogenen Onkel, ihren Eltern und einem treuen Familienhund das Glück der Normalität erfahren durfte.
Von einem Tag auf den anderen muss die Familie versuchen, genau, wie die anderen Einwohner Kaliforniens, mit der gekappten Wasserversorgung klarkommen. Ziemlich schnell stellt sich heraus, dass die freundlichen Nachbarn von nebenan plötzlich gar nicht mehr so zuvorkommend sind. Jeder denkt nun noch an sein eigenes Überleben. In Einkaufszentren reißt man sich die Wasserflaschen gegenseitig aus der Hand. In den Straßen herrscht eine aggressive Stimmung.
Eine weitere Perspektive ist die von Kelton. Alyssas Nachbarn und dem Sohn der Familie McCracken. Kelton hat schon früh von seinem Vater gelernt, dass es wichtig ist, sich auf jedes Worst-Case-Szenario vorzubereiten. So sind die Fensterscheiben des Hauses der McCrackens mit einseitig schussfestem Glas ausgestattet, diverse Fallgruben sichern das Grundstück und ein eigens dafür entwickelter Stromgenerator sorgt für die Stromversorgung in Krisenfällen. Jeden Tag werkelt der Vater in der Garage herum und entwirft neue Waffen. Nur für den Fall der Fälle. Als Kelton also dem Mädchen, für das er schon lange schwärmt, seine Hilfe anbietet, ist diese erstmal skeptisch. Doch bald schon muss Alyssa einsehen, dass Keltons Fähigkeiten und sein Wissen über das Überleben in Krisensituationen nun durchaus der Schlüssel zum Überleben sein könnte.
Im weiteren Verlauf zeigen die Autoren weitere Perspektiven auf. So lernt man hier Jacqui, eine knallharte, gut aussehende Ex-Schulstreberin, die in der Vergangenheit in leerstehende Häuser reicher Leute eingebrochen ist, kennen. Auch Henry, ein Krisengewinnler, wird eingeführt.
Interessant sind auch die kurzen Kapitel mit der Überschrift Snapshot. In diesen Kapiteln liefern Neal & Jarrod Shusterman einen kleinen Einblick in die Schicksale anderer Bewohner Kaliforniens. So wird hier z.B. eine Familie vorgestellt, die versucht aus der Tap-Out-Zone auszubrechen oder ein Mann, der einen Wassertransporter zu einer Einrichtung bringen soll, die als „kritische Infrastruktur“ klassifiziert wurde.
Fazit:
Der Klimawandel ist ein ernstes Problem. Die Faszination des Themas und die Debatten, die sich darum bilden, sind jedoch oft nur durch wissenschaftliche Erkenntnis begründet. Anschlussmöglichkeiten des Katastrophischen an die Schicksale realer Menschen sind Romanen vorbehalten. In ihrem Roman „Dry“ nehmen sich Neil & Jarod Shusterman dieser Aufgabe an. Sie schreiben einen stark dystopisch geprägten Roman, den man als Warnliteratur lesen kann. Der Roman wirft ein erhellendes Schlaglicht auf die absurde Psyche von uns Menschen. Wären wir vollkommen rational, dann reagierten wir auf Bedrohungen wohl eher mit Vernunft statt mit Zügel- und Maßlosigkeit. Aber so funktioniert der Mensch nicht. Und so sind wir offenbar dazu verdammt, in Abgründe zu schauen, um uns schließlich zusammenzureißen.
Die Geschichte ist denkbar realistisch angelegt. Es gibt hier keine strahlenden Helden, und keine der Figuren ist über jeden Zweifel erhaben.
Das Ergebnis ist ein Roman, den man nicht weglegen will, dessen Seiten wie im Flug vergehen, und der nicht nur Umweltbewegte zum Nachdenken anregen wird.
Buchzitate:
Es ist seltsam, dass Kelton alles über diese anarchische Welt weiß, während Jacqui bereits darin gelebt zu haben scheint.
„Und wie lange bereitet ihr euch schon auf die Apokalypse vor?“ „Eine Weile“, sage ich. „Der Weltuntergang ist eine Art Familienhobby.“
„Das braucht wahrscheinlich einige Stunden zum Aushärten, deswegen solltest du vorsichtig sein, wenn du das Eis hineinlegst“, sagt er mit sehr viel mehr Begeisterung, als jemand wegen Silikondichtstoff entwickeln sollte.