Wie wird ein Mann ein Mann? Nickolas Butler spürt in seinem neuen Roman „Die Herzen der Männer“ dem nach, was einen Mann ausmacht. Dazu begibt sich der amerikanische Schriftsteller in die Welt der Pfadfinder, eine Männergesellschaft.
Drei Geschichten, die lose miteinander verbunden sind, erzählt Nickolas Butler, um sich dem Mysterium des Männerherzens zu nähern. Drei Geschichten in drei Generationen.
Die erste Geschichte spielt 1962. Der 13-jährige Nelson fährt ins Pfadfinderlager, wo er zwar eifrig dabei ist, Pfadfinderabzeichen zu machen, von den anderen allerdings belächelt und drangsaliert wird. Nur einen Freund hat er dort: Jonathan. Um eben diesen Jonathan geht es dann in der zweiten Geschichte, die 1996 spielt. Jonathan fährt nun mit seinem Sohn Trevor zum Pfadfinderlager. Unterwegs stellt er ihm seine Freundin und neue Frau vor und macht sich über Trevors Liebe zu Rachel lustig. Und genau diese Rachel ist die Hauptfigur der dritten Geschichte, die im Jahr 2019 angesiedelt ist. Ihr Mann, Trevor, ist inzwischen gestorben. Den gemeinsamen Sohn Thomas zieht sie allein auf – und fährt mit ihm – wie soll es anders sein – ins Pfadfinderlager. Das wird inzwischen von Nelson geleitet.
Was Nickolas Butler dort zu finden glaubt – es ist mir verborgen geblieben. Es ist schwer, in „Die Herzen der Männer“ einen roten Faden zu finden. Am ehesten noch geht es in den drei Geschichten ums Erwachsenwerden, um das Ende einer mehr oder weniger behüteten Kindheit. Um die Frage, was männlich ist. Der kleine Nelson muss erkennen, dass petzen nicht männlich ist. Trevor muss erkennen, dass er eine andere Auffassung von Liebe hat als sein Vater, der ihm Naivität vorwirft und ihn in ein Striplokal schleppt. Und Thomas? Er muss erkennen, dass er der Mann im Haus ist.
Dann geht es um Väter, vor allem um welche, die sich aus dem Staub machen. Und es geht um auseinandergerissene Familien. Nelsons Vater verlässt die Familie, ebenso Trevors Vater, und Thomas‘ Vater ist tot. Und so geht es in Butlers Buch genauso um die Herzen der Frauen, die gebrochen werden. Butler hätte sein Buch genauso „Die Herzen der Frauen“ nennen können. Schließlich sind es sie, die von – zumeist ihren eigenen – Männern ohne Respekt behandelt werden.
Dann kann man sich mit Nickolas Butler noch die Frage stellen, was es braucht, dass aus einem Jugendlichen ein Mann wird. Die Orientierung ohne Kompass? Die Fähigkeit, Feuer zu machen? Oder die Erfahrung in einem Striplokal? Oder genügt gar ein Smartphone, wie es die dritte Geschichte andeutet? So kommt schließlich auch der Wandel der Zeit mit seinem Verständnis von Männlichkeit, Liebe und Familie zur Sprache.
Zu guter letzt könnte man das Buch auch als Entwicklungsroman lesen. Nelson taucht in allen drei Geschichten auf, wird vom Pfadfinder zum Leiter des Pfadfinderlagers und stirbt schließlich auch dort. Freilich verschwindet Nelson gerade im zweiten Teil im Hintergrund.
Oder will der Roman gar auf die Gefahren einer reinen Männergesellschaft hinweisen? Schließlich wird Nelson in der ersten Geschichte gezwungen, in eine Latrine zu tauchen, Trevor wird gezwungen, seine Ideale zu hinterfragen (die aber dennoch tragen…) und in der letzten Geschichte kommt es gar zu einer Vergewaltigung.
Sehr amerikanisch ist, dass es in allen drei Geschichten um Helden geht. Während in der ersten Geschichte der Leiter des Pfadfinderlagers als Kriegsheld gefeiert wird, gilt in der zweiten Trevors Vater als Kriegsheld, ein Elitesoldat, und in der letzten Geschichte wird der 16-jährige Thomas selbst zum Helden, als er seiner Mutter zur Hilfe eilt.
Und irgendwie geht es in dem Buch dabei auch um den Verlust von Freundschaft und um Männer, die einem mit Rat und Tat zur Seite stehen. Und natürlich auch darum, wie eine Gesellschaft ihre Werte verliert.
„Die Herzen der Männer“ ist ohne Frage ein vielschichtiges Buch. Das macht es zweifelsohne interessant, allerdings lässt es bei mir auch viele Fragezeichen zurück. An manchen Stellen (vor allem im mittleren Teil) gibt es deutliche Längen und überzogen Dargestelltes, was zum Querlesen einlädt. Insgesamt aber gelingt es Nickolas Butler den Leser mit hineinzunehmen in eine fremde Welt, deren Sinn immer mehr verloren zu gehen scheint.