Siena im Zweiten Weltkrieg
Den kleinen Lorenzo verschlägt es in den Kriegswirren von Tripolis im von Italien besetzten Libven nach Siena. Man schreibt den August 1942 und Nordafrika ist hart umkämpft. Sein Vater unterstützt in einer ...
Den kleinen Lorenzo verschlägt es in den Kriegswirren von Tripolis im von Italien besetzten Libven nach Siena. Man schreibt den August 1942 und Nordafrika ist hart umkämpft. Sein Vater unterstützt in einer führenden militärischen Position die vereinten Truppen Deutschlands und Italiens, seine Mutter ist zunächst zur Regelung familiärer Angelegenheiten in Rom, bis sie nach einigen Monaten - der Vater ist inzwischen verschollen - nach Tripolis zurückkehrt, um dort nach ihrem Mann zu suchen.
Lorenzo, dessen Familie dem verarmten Adel angehört, lebt in Siena bei Großvater und Tante väterlicherseits und begegnet hier einer ganz anderen Wahrnehmung der politischen Situation: Seine Zia Chiara ist eine entschiedene Gegnerin des faschistischen Mussolini-Regimes und auch sein Großvater sympathisiert eher mit den Partisanen, wenn er - nicht nur aus Altergründen - sich auch sehr zurückhält. Nicht so Chiara, die als Lehrerin arbeitet und auch in dieser Position nicht davor zurückschreckt, ihre Meinung zu äußern.
Lorenzo hat sich schnell eingelebt und den Kaufmannsohn Franco, der aus einer Familie glühender Faschisten stammt, zum Freund gewonnen. Mit ihm nimmt er an den Aktivitäten der Jugendorganisation teil und freut sich an militärischen Siegen seines Landes.
Doch zunehmend nimmt auch er Brüche wahr: ein jüdisches Mädchen wird der Schule verwiesen und da sich Chiara für sie einsetzt, muss sie gleich mit gehen. Mehr und mehr wird ihm klar, dass nicht alles, was die Faschisten und deren Verbündeter, also Nazi-Deutschland tun, moralisch, ethisch und auch gesellschaftspolitisch nachzuvollziehen ist. Inzwischen hat er auch seinen zweiten Freund, nämlich Daniele, gewonnen, der Jude ist. Sein Vater ist aber ein Anhänger des faschistischen Regimes und davon überzeugt, dass der Familie nichts passiert.
Als Lorenzo dann zufällig Zeuge der Deportation der Familie durch die nationalsozialistischen Verbündeten wird, wächst er über sich hinaus und tut etwas, das nicht nur seine eigene Zukunft entscheidend prägen wird. Nein, in dieser Situation wird ihm endgültig klar, dass nicht alle, die dem Faschismus und Nationalsozialismus dienen, von diesem überzeugt sein.
Ein Roman mit Herz und Tiefgang! Die in Deutschland lebende, aus Italien stammende Autorin Nicoletta Giampietro hat in Bezug vor allem auf die Geschichte Sienas akribisch recherchiert und auf der Basis der realen Entwicklungen einen mitreißenden Familienroman über Freundschaft, Loyalität und Verrat geschrieben, der gerade im historischen Kontext wichtige Erkenntnisse bringt. Auch wenn es mir manchmal etwas zu (melo)dramatisch herging, hat dieses Buch mich sehr bewegt - nicht zuletzt, weil es grundlegende Werte thematisiert. Und deutlich gemacht, wie sehr Zweifel gerade in Extremsituationen zum Leben gehören. Ich bin mir ganz sicher, dass jeder Leser nicht nur in Bezug auf die Hauptperson überlegen wird, wie er selbst denn in dieser oder jener Situation gehandelt hätte.
Ein ebenso berührender wie informativer Roman mit eindringlich gezeichneten Figuren, der mir die Tür zum Verständnis der Rolle und der Geschicke Italiens, in diesem Fall vor allem Sienas im Zweiten Weltkrieg ganz weit geöffnet hat