Wie ein faschistischer Staat entsteht – ein erschreckendes Szenario
Mit „Die Morgenröte“ entwirft Noah Richter eine schockierende alternative Realität für das Jahr 2021, die so wirklichkeitsnah daherkommt, das einem angst und bange wird. Als der Youtuber Georg Herzfeld ...
Mit „Die Morgenröte“ entwirft Noah Richter eine schockierende alternative Realität für das Jahr 2021, die so wirklichkeitsnah daherkommt, das einem angst und bange wird. Als der Youtuber Georg Herzfeld den Popstar Götz Wolf auf seinem Weg zum Bundeskanzler unterstützt, ahnt er noch nicht, dass er sich mitten im Aufbau einer neofaschistischen Bewegung befindet, angeleiert von der reichen Amalia von Bülow und dem skrupellosen Spindoctor Lorenz Ziffer. Als ihm diese Gefahr bewusst wird, ist es bereits zu spät und er steckt bis über beide Ohren in der Sache drin …
In präzisen Worten und in journalistischem Stil erzählt Noah Richter von der Eskalation der Meinungsmache und der Aushöhlung der Demokratie – und zwar voller Elan, unter jubelndem Beifall und tosendem Applaus, mit Merchandise und Musik. Götz Wolf bringt ein gewaltiges Charisma mit, das seine Anhänger an seinen Lippen kleben lässt – und sie glauben ihm alles, auch die vergifteten Worte, die ihm „aus dem Off“ in den Mund gelegt werden. Er ist allerdings mehr als eine Marionette und der Dreh- und Angelpunkt der Bewegung. Georg ist anfangs ebenso hingerissen von ihm wie seine Fans, ignoriert die warnende Stimme seiner Freundin im Hintergrund und stürzt sich voller Elan in das Abenteuer. Dabei ist nicht ausschließlich Naivität seine Triebkraft, sondern der Wunsch nach einer Vaterfigur, aber auch finanzielle Sorgen, denn Georg droht eine kostspielige Klage aufgrund einer aus dem Ruder gelaufenen Enthüllungsepisode seiner Show.
So vielschichtig und interessant die Charaktere konzipiert sind, so wenig emotional erscheint der Roman. Hier liegt vielleicht seine einzige Schwäche. Denn während das erdachte Szenario hervorragend gestaltet ist, bleiben die Charaktere stets auf Distanz. Der Stil entspricht eher einer Chronologie, einem Enthüllungsartikel, und lässt nicht allzu viel Empathie zu. Das mindert das literarische Erlebnis ein klein wenig, untermalt dafür aber kraftvoll die Dystopie – die sich unerträglich nah an unserem heutigen Alltag bewegt und durch viele Verankerungspunkte in der Realität eine schockierende Nähe schafft.
Ein starkes Buch über den Faschismus, in dem Emotionen etwas zu kurz kommen, das aber vor allem durch ein herausragend erdachtes, realitätsnahes Szenario besticht. Es sollte uns allen eine Warnung sein!