Christina Henry hat mich mit ihrem Netz aus Mythen, komplexen Protagonist*innen und historischen Einflüssen gefangen genommen.
Die Chroniken der Meerjungfrau - Der Fluch der WellenBeschreibung
Vor langer Zeit lebte eine Meerjungfrau im Ozean, die die Welt erkunden wollte und so in das Netz eines Fischers geriet. Als der Fischer in die Augen der Meerjungfrau blickte, ließ er sie ...
Beschreibung
Vor langer Zeit lebte eine Meerjungfrau im Ozean, die die Welt erkunden wollte und so in das Netz eines Fischers geriet. Als der Fischer in die Augen der Meerjungfrau blickte, ließ er sie frei. Doch die Meerjungfrau fühlte sich von der Einsamkeit, die sie in des Fischers Augen erblickte, magisch angezogen und so kehrte sie zurück, ging an Land und verwandelte sich in eine wunderschöne Frau mit schwarzem Haar und grauen Augen, in denen sich das tosende Meer spiegelte. Die Liebe zu ihrem Fischer war so stark, dass die unsterbliche Meerjungfrau auch nach dem Tod ihres Geliebten, jeden Tag nach ihm Ausschau hielt.
Gerüchte über die mysteriöse Meerjungfrau dringen sogar bis nach New York und erregen die Aufmerksamkeit des Schaustellers P. T. Barnum, der für sein Museum der Kuriositäten nach einer neuen Attraktion sucht, die für ihn die Kassen klingeln lassen…
Meine Meinung
Mit ihren düsteren Märchen-Neuinterpretationen, allen voran »Die Chroniken von Peter Pan«, hat mich Christina Henry vollauf begeistern können. Ihr neuestes Werk »Die Chroniken der Meerjungfrau – Der Fluch der Wellen« ist allerdings nicht mit ihren bisher im Deutschen erschienenen Werken vergleichbar, denn hierbei handelt es sich vielmehr um eine gelungene Verquickung des märchenhaften Mythos über Meerjungfrauen mit der historisch belegten Persönlichkeit P. T. Barnum und nicht um eine Neuerzählung eines beliebten Klassikers mit Horrorfaktor.
Zunächst bekommt man eine märchenhafte Meerjungfrauen-Geschichte präsentiert, die ebenso wie Hans Christian Andersens Märchen mit einer melancholischen Ader durchzogen ist, auch wenn sich Christina Henry dafür anderer Elemente bedient, die mit Liebe, Freiheit und Unsterblichkeit zu tun haben. So anrührend und schön die tragische Liebesgeschichte des Fischers Jack und seiner Meerjungfrau Amelia auch ist, wird diese schon bald durch die herbe Realität des menschlichen Tuns durchbrochen.
Der amerikanische Geschäftsmann und Schausteller Phineas Taylor Barnum und Teile seines Lebenslaufes wurden von Christina Henry zur groben Vorlage für den weiteren Verlauf ihrer Geschichte genommen. So war P. T. Barnum tatsächlich Leiter eines eigenen Museums, das als eine Art Kuriositätenkabinett Besucher anzog.
Auch war er ein Meister der Inszenierung und damit ein Showmaster seiner Zeit, der es 1842 durch ein Artefakt, mit dem Oberkörper eines Affen angebracht an einem Fischschwanz, in Zusammenarbeit mit einem vermeintlichen Doktor aus England unter der blumigen Bewerbung »Fidschi Meerjungfrau« zu einer Sensation in New York City brachte.
In »Die Chroniken der Meerjungfrau – Der Fluch der Wellen« verwirkt Christina Henry diese historisch belegten Details mit der mythischen Geschichte ihrer Meerjungfrau zu einem mitreißenden Lesestoff über den Hunger nach Geld, Liebe, Freiheit und auch Emanzipation. Anders als in ihren vorherigen Büchern handelt es sich dieses Mal nicht um eine brutale und düstere Märchenadaption, sondern um eine bewegende historische Fantasygeschichte mit fein umrissenen Charakteren. Damit bricht Christina Henry zwar mit meinen Erwartungen, denn die Handlung hätte sicherlich für schauderhafte Wendungen genügend Potenzial geboten, doch losgelöst von dieser Vorstellung, ist das Buch absolut lesenswert.
Möchte man eine phantastische Geschichte mit historischen Elementen und einem märchenhaften Mythos durchzogen lesen, die sich sanft entfaltet und ganz ohne temporeiche Action auskommt, trifft man mit diesem Buch genau die richtige Wahl!
Von Christina Henrys einnehmender Art des Geschichten-Erzählens kann ich einfach nicht genug bekommen, daher freue ich mich schon auf die nächste Veröffentlichung von Henrys Büchern, mit »Die Chroniken von Rotkäppchen – Allein im tiefen, tiefen Wald« am 8. März 2022.
Fazit
Christina Henry hat mich mit ihrem Netz aus Mythen, komplexen Protagonist*innen und historischen Einflüssen gefangen genommen. Lediglich meine Erwartungen bezüglich einer unheimlichen und finsteren Interpretation der märchenhaften Meerjungfrauen-Legende wurden nicht erfüllt.
--------------------------------
© Bellas Wonderworld; Rezension vom 09.11.2021