Freundschaft und Entfremdung
Ich komme nicht zurückAls Kinder in einer Zechensiedlung im Ruhrgebiet waren sie unzertrennlich: Hanna, die von ihren Großeltern aufgezogen wird, Cem und die ebenfalls mutterlose Zeyna, die mit ihrem Vater aus Tripoli kommt ...
Als Kinder in einer Zechensiedlung im Ruhrgebiet waren sie unzertrennlich: Hanna, die von ihren Großeltern aufgezogen wird, Cem und die ebenfalls mutterlose Zeyna, die mit ihrem Vater aus Tripoli kommt und in der Fremde Fuß fassen muss. In ihrem Roman "Ich komme nicht zurück" beschreibt Rasha Khayat die Geschichte von Freundschaft und Entfremdung aus der Sicht von Hanna, die Jahrzehnte später und in der Coronapandemie zurückkehrt, weil ihre Großmutter nach einem Schlaganfall im Krankenhaus ist. Und auch nach deren Tod bleibt sie in der alten Wohung, gefangen in der Vergangenheit, weil die Gegenwart voller Einsamkeit ist.
Während Hanna weggegangen ist, Lehrerin wurde, ist Cem geblieben. Der Kontakt zu Zeyna ging verloren, sie reist als Fotografin um die Welt. Doch immer wieder sieht Hanna Frauen, die sie an die einstige Freundin erinnern. Über Facebook und über Zeynas Vater versucht sie, Kontakt aufzunehmen, doch Zeyna will offensichtlich nichts mehr von ihr wissen, reagiert in einer einzigen Nachricht brüskiert.
Wie ist es so weit gekommen? Hanna entblättert ihre Erinnerungen, auch die Kindheit und Jugend in den späten 80-ern und 90-er Jahren, als das Wir plötzlich aufgebrochen wurden, als Cem und Zeyna ihr vermittelten, dass sie nicht mitreden könne, eben nicht betroffen sei von Ereignissen wie dem Brandanschlag in Mölln, der das Sicherheitsgefühl der Freunde nachhaltig erschüttert und deren Eltern in tiefe Ängste stürzt. Wieso ist eigentlich gar keine Rede von Solingen, fragte ich mich beim Lesen, denn der dortige Anschlag auf das Haus der Familie Genc lag doch viel näher am Ruhrgebiet, hat die migrantische Gesellschaft in Nordrhein-Westfallen zutiefst aufgewühlt.
Dass Zeyna manches anders sieht, wird auch in ihrer Reaktion auf die Anschläge vom 11. September deutlich. Während Hanna voller Entsetzen den Einsturz der Twin Towers beobachtet, lacht Zeyna, deren Heimatstadt Tripolis von den USA bombardiert worden war. Ihre Mutter kam bei einem Luftangriff ums Leben. Rechtfertigt das die Zustimmung zu Terror? Der erste Riss in der Freundschaft, die schleichende Entfremdung ist da schon absehbar. Später wird Hanna das Geheimnis lüften, das zum Bruch führte.
"Ich komme nicht zurück" ist ein Zeit- und Pandemieroman, der auch zeigt, wie zwischen Lockdown und Kontakbeschränkungen Einsamkeit noch einmal zunimmt. Wird Hanna sich aus ihrem Schneckenhaus befreien? Das Ende zeigt leise Hoffnung. Ein leise erzählender Roman, der auch ein Stück bundesdeutscher Geschichte aufrollt.