Ein Spiegelbild unserer Gesellschaft
Fischbach ist eine Kleinstadt im Speckgürtel einer großen Stadt. Es ist der Ort, an den Familien ziehen, wenn die Stadt zu eng wird. Eine kleine Idylle. Hier gibt es eine Siedlung mit Doppelhäusern, die ...
Fischbach ist eine Kleinstadt im Speckgürtel einer großen Stadt. Es ist der Ort, an den Familien ziehen, wenn die Stadt zu eng wird. Eine kleine Idylle. Hier gibt es eine Siedlung mit Doppelhäusern, die Nachbarn verstehen sich, machen Späße, grillen zusammen, die Kinder sind befreundet. So auch bei Tim und Fine, Louisa und Albert und Katja und Robert. Doch auch das Idyll hat im Hintergrund kleine Risse: Robert wird arbeitslos, Tim kann sich als Programmierer im HomeOffice nicht immer aufrappeln, Louisa nimmt als Künstlerin keiner ernst usw. In diesem Örtchen eröffnet ein neuer Laden für Honig und Geschenke. Ein Anziehungspunkt für die Mütter, da direkt neben der Schule. Alle sprechen vom „Honigmann“ und sind befreundet. Die Kinder sind gern dort. Doch eines Tages wendet sich das Idyll, ein Brief taucht auf und plötzlich entwickelt alles ein Eigenleben und danach wird nichts mehr so sein wie vorher.
„Der Honigmann“ ist ein Spiegel unserer Zeit. In einer kleinen Geschichte wird geschickt eine ganze Reihe Themen verbaut. Ein kleiner unüberlegter Schritt tritt plötzlich eine Welle los, die nicht ehr zu kontrollieren ist. Vorurteile, Hochjubeln und Fallenlassen, Hass, Neid, blinder Aktionismus, eine kleine Gruppe, die plötzlich als „alle“ wahrgenommen wird… derer Themen gibt es viele und sie alle sind auf viele weitere Themen aus unserem Alltag übertragbar. Wie schnell durch die Vernetzung eine kleine Aktion zu einem Riesenthema werden kann, ist bekannt durch Shitstorms aller Art oder Partys, die plötzlich aus dem Ruder laufen. Ein jeder kommt in der Geschichte zu Wort, wie in einer Art Interview. Aber auch die Handlung an sich geht auf jeden einzelnen ein. Und jeden Einzelnen kann man beim Lesen verstehen. Und in Summe werden hier Leben zerstört. Weil man lieber schreibt und nicht spricht. Und weil man lieber nicht DIREKT spricht, sondern sich anschließt, statt selbst seine Meinung zu vertreten. Das Ergebnis hat weitreichende Konsequenzen.
Die Geschichte ist wunderbar aufgearbeitet. Sie ist leise erzählt, keine große Action oder große Gefühle, aber auch nicht sachlich. Ich konnte mich als Leserin wunderbar hineinversetzen, weil es wahr sein könnte. Es ist erschreckend. Eine absolute Leseempfehlung.