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Veröffentlicht am 11.11.2024

Innenansichten nach dem Terror

Und es geschieht jetzt
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Es gibt schon viele Bücher zum Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023, und bestimmt werden etliche folgen. Zu tief ist der Einschnitt, nicht nur in Israel, nicht nur in Gaza, sondern auch in der jüdischen ...

Es gibt schon viele Bücher zum Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023, und bestimmt werden etliche folgen. Zu tief ist der Einschnitt, nicht nur in Israel, nicht nur in Gaza, sondern auch in der jüdischen Diaspora und in den europäischen und nordamerikanischen Staaten. Der Autor und Publizist Marko Martin hat mit seinem Buch "Und es geschieht jetzt" laut Verlagsinfo "Jüdisches Leben seit dem 7. Oktober" beschrieben.

Es sind vor allem persönlich geprägte Innenansichten, Gespräche mit Freunden, Begegnungen, innere Monologe, Erinnerungen an vergangene Besuche in Israel und die wahrgenommene Veränderung im Sommer 2024, Veränderungen aber auch für jüdisches Leben etwa in Deutschland - die verstärkte Angst, das Gefühl von Unsicherheit angesichts des immer lauteren Antisemitismus, aber auch angesichts des lauten Schweigens ausbleibender Solidarität oder menschlich-nachbarlicher Nachfragen - seid ihr betroffen, kennt ihr jemanden, braucht ihr jemanden zum Reden?

Liegt es an endlosen Schachtelsätzen, an als Manierismus empfundenen zu literarisch-schön geschriebenen Sätzen, dass mich dieses Buch nicht packen konnte? Zu künstlich klingen die Dialoge, die der Autor mit seinen Freunden führt, so druckreif-endlos redet doch niemand im wahren Alltag. Diese Schreibweise bringt die Begegnungen nicht näher, sondern sorgt für einen Verfremdungseffekt, zu selbstverliebt und nabelschauzentrisch geraten die Schilderungen alter Freundschaften und Beziehungen bei den vergangenen Israel-Reisen.

In anderen Büchern über den 7. Oktober habe ich Zorn, Fassungslosigkeit, Schmerz gespürt. Hier übertüncht die Form den Inhalt. Ich bleibe mit gemischten Gefühlen zurück,

Veröffentlicht am 11.11.2024

Personenschützerin als Sündenbock

Wir finden Mörder (Wir finden Mörder-Serie 1)
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Wer die betagten Ermittler aus Richard Osmans "Donnerstagsmordklub" ins Leser-Herz geschlossen hat, wird auch die neue Reihe des britischen Autors mögen. Auch der Auftaktroman "Wir finden Mörder" ist ...

Wer die betagten Ermittler aus Richard Osmans "Donnerstagsmordklub" ins Leser-Herz geschlossen hat, wird auch die neue Reihe des britischen Autors mögen. Auch der Auftaktroman "Wir finden Mörder" ist ein warmherziger Cozy-Krimi, der unterhaltsam ist und eine ordentliche Prise britischen Humors enthält. In der neuen Reihe geht es um die toughe Personenschützerin Amy und ihren Schwiegervater, eigentlich zwei völlig unterschiedliche Charaktere, die sich aber herzlich zugetan sind.

Amy braucht das Adrenalin ihres Jobs, sesshaft werden möchte sie noch lange nicht und das klassische Familienleben ist auch nicht ihr Ding. Da ihr Ehemann als Geschäftsmann um den Globus jettet, sehen die beiden sich zwar selten, die long distance-Beziehung funktioniert dennoch gut.

Schwiegervater Steve dagegen, ehemaliger Polizist, verwitwet und nun als Privatdetektiv auf einem englischen Dorf zuständig für das Finden verlorener Haustiere oder Ermittlungen kleiner Betrügereien, will noch nicht einmal in das 50 Kilometer entfernte Southampton fahren. Das Dorf, der Pub und seine Freunde vom Pub-Quiz reichen ihm vollkommen. Die Routine ist tröstlich, und im Dorf fühlt sich der einsame Mann, der schlecht über seine Gefühle sprechen kann - das wäre ja auch äußerst unbritisch! - seiner verstorbenen Frau nahe, mit der er täglich Zwiegespräche führt.

Als es in der Nähe von Amys Einsatzorten jedoch zu drei Mordfällen kommt und Amy als Sündenbock präsentiert werden zu scheint, wird allerdings auch Steve aus seiner Routine aufgerüttelt. Amy und ihre derzeitige Klientin, die lebenslustige Bestsellerautorin Rosie d´Antonio, müssen untertauchen - und Steve sich den beiden auf einer Odyssee anschließen, die von einer Privatinsel vor der Küste South Carolinas über die Karibik nach Irland und schließlich nach Dubai führt.

Klar ist schnell: ein internationaler Geldschmuggler, der sauer auf Amys Chef Jeff ist, versucht nicht nur, Amy als Verantwortliche für die Morde zu präsentieren, sondern hetzt ihr auch Auftragskiller hinterher. Wie gut, dass Amy gut auf sich aufpassen kann, nicht nur auf ihre Klienten. Eine turbulente Jagd, bei der Steve die Annehmlichkeiten privater Jets zu schätzen lernt, die unverwüstliche Rosie mit ihrem weitgespannten Bekanntennetz, ein Cockney-Killer und die Frage, wer denn nun der große Unbekannte ist, der mittels KI auch sprachlich und in der email-Kommunikation seine Spuren verwischt, lassen bei Osmans neuem Roman keine Langeweile aufkommen. Liebenswerte Protagonisten, aber auch ernste Themen wie Einsamkeit und Trauer, kommen hier zusammen. Auch manche Nebenfigur ist so unterhaltsam, dass ich auf ein Wiedersehen in späteren Bänden hoffe. Der Auftakt der neuen Reihe ist jedenfalls vielversprechend.

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  • Handlung
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Veröffentlicht am 10.11.2024

Lafers Lieblingsrezepte

L wie Lafer
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Wenn jemand mehrere Jahrzehnte als Meisterkoch vorweisen kann, hat er viel Wissen, Tricks und Küchengeheimnisse weiter zu geben. In "L wie Lafer" stellt Johann Lafer eine Zusammenstellung von 100 seiner ...

Wenn jemand mehrere Jahrzehnte als Meisterkoch vorweisen kann, hat er viel Wissen, Tricks und Küchengeheimnisse weiter zu geben. In "L wie Lafer" stellt Johann Lafer eine Zusammenstellung von 100 seiner Lieblingsrezepte vor. Die Mischung ist bunt: Regionale Spezialitäten und Kochinspirationen aus aller Welt, einige eher einfach klingende Rezepte, andere, die schon beim Lesen Raffinesse versprechen, auch Variationen bekannter Gerichte. Da wird etwa eine Frikadelle durch Wildfleisch veredelt.

Manche der vorgestellten Rezepte sind alltagsgeeignet, etwa der lauwarme Salat von Schinkenknödeln, der mich an den Semmelknödelsalat meiner Oma erinnert - Restverwertung und so lecker! Oder der steirische Kartoffel-Gurkensalat, genau das Richtige für einen Sommertag. Deftig sind Rheinischer Sauerbraten und Szegediner Gulasch, aber auch der asiatische Schweinebauch oder Elsässer Sauerkraut. Und auch ein Rösti a la Lafer schmeckt jederzeit.

Andere Rezepte klingen aufwändiger oder aufgrund der Zutaten eher für einen besonderen Anlass, etwa Parmesan Mousse mit Bittersalat und Wachtelei. Auch die Hummerklöße auf Blattspinat sind nicht gerade für jeden Tag. Auch die Petit Fours aus dem Dessertkapitel sind deutlich zeitaufwändiger als beispielsweise der ebenfalls vorgestellte Mohnschmarrn

International sind etwa vietnamesische Reisröllchen, Ceviche, Pad Thai, ein sehr lecker klingendes kreolisches Fischragout, Tajine mit Hähnchen oder Schweinefleisch süßsauer. Daneben gibt es international inspirierte Fusionsgerichte, beispielsweise Garnelen-Cevapcici mit Mangoreissalat oder Vindaloo mit Riesengarnelen und Ananas, Fischragout Stroganoff oder gebratener Tofu auf Curryspätzle oder ein süßes Wasabi-Kürbiskern-Parfait - auf diese Geschmackskombination muss man erst mal kommen.

Die einzelnen Kapitel sind aufgegliedert in die Themenbereiche Suppen, Kleine Gerichte, Fisch, Fleisch, vegetarische Gerichte und Desserts, das Buch ist reichlich bebildert und am Ende vieler Gerichte steht noch ein Meister-Tipp. Geschmacklich dürfte für jeden etwas dabei sein. Ich freue mich jedenfalls schon aufs Nachkochen.

Veröffentlicht am 09.11.2024

Mörderische Hochschule

How to murder your Boss – McMasters Handbuch zum Morden
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Das McMasters Konservatorium für Angewandte Künste ist eine Hochschule der etwas anderen Art. Es geht nicht etwa um Kompositionstheorie, Klaviertechnik oder den perfekten Ton, wie der Name der Akademie ...

Das McMasters Konservatorium für Angewandte Künste ist eine Hochschule der etwas anderen Art. Es geht nicht etwa um Kompositionstheorie, Klaviertechnik oder den perfekten Ton, wie der Name der Akademie vermuten ließe - nein, wer, hier studiert, erhält buchstäblich tödliches Wissen, könnte aber auch selbst in Gefahr laufen, noch vor Studienabschluss das eigene Leben zu verlieren. Der Buchtitel von Rupert Holmes Roman sagt eigentlich schon alles: How to murder your boss - McMasters Handbuch zum Morden.

Bei McMasters handelt es sich um den Hochschulgründer, der nach seinem (natürlichen) Ableben weiterhin der akademische Übervater und moralische Kompass der Schule ist, die im Klappentext als "Hogwarts für Mörder" bezeichnet wird. Genau diese Beschreibung hatte mich getriggert, das Buch zu lesen. Hier wurde ich allerdings enttäuscht: Abgesehen von einem malerischen Setting und der Tatsache, dass nur Eingeweihte die Schule kennen, gibt es wenig Gemeinsamkeiten zwischen Hogwarts und McMasters und auch Schreibstil und Plot haben nichts miteinander zu tun.

Die Handlung spielt in den 1950-er Jahren, aber die Ausdrucksweise des Autors klingt so altertümlich, als sei das Buch noch deutlich früher geschrieben worden. Der etwas betuliche Stil war irgendwie nicht so mein Ding. Vor allem am Anfang habe ich deshalb mit dem Buch gefremdelt und musste mich zum Weiterlesen überwinden. Später nimmt es dann doch an Fahrt auf, vor allem, wenn drei Absolventen ihre Pläne nach vollendetem Studium in die Tat umsetzen sollen: Der Flugzeugingenieur Cliff Iverson, ein Stipendiat, der mit einem Tagebuch seinen unbekannten Gönner über seine akademischen Fortschritte auf dem Laufenden halten soll, Gemma Lindley, die von ihrer Vorgesetzten in einem britischen Krankenhaus ausgenutzt und erpresst wird, und Hollywood-Darstellerin Doria Maye, deren Karriere von einem fiesen Studioboss torpediert wird.

Der Mord am Chef, als letztes Mittel und unter bestimmten an der Akademie gelehrten Voraussetzungen ethisch vertretbar, ist zugleich die Abschlussarbeit. Doch sollten die Jungakademiker scheitern, droht ihnen selbst die Eliminierung. Mit diesen finalen Ungewissheiten spielt der Autor. Zwar ist der eigentliche Protagonist Cliff Iverson, dessen früherer Chef mit der kostensparenden Änderung von Cliffs Konstruktionsplänen eine Flugzeugkatastrophe herbeiführen könnte, doch am unterhaltsamsten ist die vielseitige Diva Doria, die das Spiel der mehrfachen Täuschung perfekt beherrscht. Sie bei ihrer Abschlussarbeit zu begleiten hat mich mit dem eher lahmen Auftakt des Buches und einiger verzichtbarer Längen versöhnt.

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  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.11.2024

Gebrauchslyrik und Punk

Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer
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Manchmal genügt ein Name, um einen Hörsaal garantiert zu füllen. So auch bei Andreas Frege an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität, sehr viel besser bekannt unter dem Namen Campino. Der Sänger und ...

Manchmal genügt ein Name, um einen Hörsaal garantiert zu füllen. So auch bei Andreas Frege an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität, sehr viel besser bekannt unter dem Namen Campino. Der Sänger und Frontmann der Toten Hosen äußert sich immer wieder nicht nur auf der Bühne, sondern auf Demonstrationen oder anderen öffentlichen Auftritten pointiert zu gesellschaftlichen Themen, zu Rasssimus, Rechtsextremismus usw. Ein Hörsaal war bisher eher nicht die gewohnte Umgebung des Düsseldorfer Musikers. Entsprechend groß war die Neugier auf seine beiden Gastvorlesungen. Wer den live-Auftritt verpasst hat, kann Campinos "Liebeserklärung an die Gebrauchslyrik" nun nachlesen.

Unter dem Titel "Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer" zeigt sich Campino als Fan von Erich Kästners Gedichten, geht auch auf Heinrich Heine, den Namenspaten der Universität und dessen Gedichte ein, die er im Laufe der Jahre zu schätzen gelernt hat und schlägt natürlich auch den Bogen zur Musik und dem Liedertexten. Wer die Bandgeschichte der Toten Hosen bisher nicht so eng verfolgt hat, erfährt so manches über die Ursprünge der Gruppe, ihre Arbeit und ihr Engagement außerhalb der Bühne. Auch manches Persönliche wie die Beziehung zu seinen Eltern kommt in Campinos Vorlesung zur Sprache.

"Eisgekühlter Bommerlunder" und "Bis zum bitteren Ende" sind zwar nach wie vor beliebte Rausschmeißer bei Konzerten der "Hosen", aber Sauf- und Spaßlieder sind schon seit vielen Jahren nicht mehr typisch für die Band und die oft nachdenklichen Texte Campinos, die immer wieder den Finger in Wunden der gegenwärtigen Gesellschaft legen. In der ersten Gastvorlesung geht es so denn auch um die Entstehungsgeschichte von Liedern, die sich mit Verlust, Rechtsextremismus oder Missbrauch auseinandersetzen, wie "Unser Haus", "Willkommen in Deutschland" oder "Böser Wolf".

Nachdenklich ist auch die zweite Gastvorlesung, in der sich Campino mit KI auseinandersetzt und den Chancen, aber auch den Bedrohungen, die Künstliche Intelligenz für Musiker, Schauspieler oder Schriftsteller bietet. An einigen Beispielen demonstriert er, was die Programme jetzt schon können, etwa wenn die KI den Auftrag erhält, einen Liedertext zu verfassen, der die Stile von Campino, Kästner und Heine vereint. Das Ergebnis verblüfft - und wirft die Frage auf, wieviel Raum KI in der Zukunft in kreativen Prozessen einnehmen könnte -und sollte.

Nicht nur für "Hosen"-Fans viel Stoff zum Nachdenken, und die Erkenntnis: Auch im Hörsaal weiß Campino zu überzeugen.