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Veröffentlicht am 30.06.2024

Altersweise, aber nicht altersmilde

Altern
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Elke Heidenreich ist 81. Da weiß man, die verbleibende Lebenszeit ist begrenzt. Eigentlich weiß man das auch irgendwann nach dem 40. oder 50. Geburtstag - es ist weniger übrig, als hinter uns liegt. In ...

Elke Heidenreich ist 81. Da weiß man, die verbleibende Lebenszeit ist begrenzt. Eigentlich weiß man das auch irgendwann nach dem 40. oder 50. Geburtstag - es ist weniger übrig, als hinter uns liegt. In ihrem Buch "Altern" setzt sich Heidenreich mit dem Altwerden, dem Altsein, dem Selbstgefühl und dem Blick der Gesellschaft auf "die Alten" auseinander. Da sie sich jahrzehntelang mit Büchern und Lesen befasst hat, greift sie auch hier zur Literatur, findet Tröstliches, Kritisches, Diskussionswürdiges.

Es ist ein kluges Buch geworden - altersweise, aber nicht altersmilde. Mit kritischem Blick und mancher Spitze hat die Autorin all die Jahre gelebt, da will sie jenseits der 80 nicht die liebe, pflegeleichte Alte werden. Sie hat keine Angst, anzuecken, wenn sie sich dem Zeitgeist verweigert und auch Thesen äußert, die durchaus kontrovers sein können.

"Altern" ist ein sehr persönliches Buch. Und es regt an, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, gerade wenn man eben keine 30 oder 40 mehr ist, wenn die Zeit im Berufsleben absehbar in die letzte Runde geht, wenn Kinder aus dem Haus und Eltern gestorben sind. Es ist durchaus tröstlich - es ist keineswegs alles vorbei. Und es beschönigt nicht: Die Einschränkungen, die Grenzen, sie kommen. Wie auch die Einschläge von Verlust, wenn Freunde aus der gleichen Generation sterben. Wenn der Verlust dieser Freunde zu Einsamkeit führen kann. Überhaupt, die Einsamkeit - "Altern" macht deutlich, wie wichtig ein funktionierendes soziales Netzwerk ist.

Heidenreich ist ehrlich: Das lebenswerte, erfüllende Leben im Alter ist stark abhängig von Gesundheit und der finanziellen Ausstattung. Alt, arm und krank zu sein - das ist ein himmelweiter Unterschied zu ihrem aktiven Leben, in dem Arbeit weiter eine wichtige Rolle spielt. Sie zieht Vergleiche zu dem Altern ihrer Mutter - und sie setzt sich mit Sterben und Tod auseinander, unprätentiös, nichts beschönigend aber auch nicht bereit, sich von Ängsten beherrschen lassen. Heitere Gelassenheit und Akzeptanz des Unumgänglichen, so könnte man die Haltung beschreiben. Mit 80, so versichert sie, ist vieles vielleicht nicht mehr möglich, doch die Lust am Leben muss noch nicht vorbei sein - und gewinnt angesichts des Wissens um seine Endlichkeit nur noch mehr Tiefe.

Veröffentlicht am 22.06.2024

Auftragskiller ohne Ausstiegsklausel

Der Profi
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Spätestens seit "Bullet Train" ist Kotaro Isaka auch einer westlichen Leserschaft bekannt als Autor fernöstlicher Spannung im Milieu der Auftragskiller, der Gewalt mit einem Hauch von Philosophie oder ...

Spätestens seit "Bullet Train" ist Kotaro Isaka auch einer westlichen Leserschaft bekannt als Autor fernöstlicher Spannung im Milieu der Auftragskiller, der Gewalt mit einem Hauch von Philosophie oder auch Humor zu verbinden weiß. Sein neues Buch "Der Profi" ist da keine Ausnahme und erlaubt sogar ein kurzes Wiedersehen mit Lemon und Tangerine, dem Killer-Duo aus "Bullet Train". Auch eine Reminiszenz an die "Hornisse" gibt es.

Vor allem aber geht es um Kabuto, der seine erfolgreiche Karriere als Auftragsmörder erfolgreich hinter dem eher langweiligen Alltag eines Angestellten im Vertrieb zu verbergen weiß. Anders als seine mitunter als Alphamännchen auftretenden Kollegen wirkt er unauffällig, bescheiden. Auch im Privatleben erinnert nichts an seinen illegalen Broterwerb - Kabuto ist ein zurückhaltender Familienvater, ein bißchen auch ein Pantoffelheld, denn einen großen Teil seines Denkens bestimmen Überlegungen, wie er verhindern kann, dass seine Frau sich über ihn ärgert.

Doch ungeachtet seines beruflichen Erfolgs - Kabuto hat genug vom Töten. Er will aussteigen. Jedoch, es kann der Killer nicht im friedlichen Ruhestand leben, wenn es seinem bisherigen Auftaggeber/Ermittler nicht gefällt. Der gefühlskalte, irgendwie roboterhafte Arzt, der in seinen Sprechstunden Kabuto auf die jeweils anstehende "Operation" vorbereitete, will Kabuto von seinen Plänen abbringen - und als dieser nichts davon wissen will, merkt er, dass plötzlich sein eigenes Leben in Gefahr sein dürfte. Wird der unwillige Killer überleben?

Auch diesmal überzeugt Isaka wieder mit Unterwelt-Charakteren, die ihren eigenen Ehrenkodex haben, aber abgesehen von ihrem tödlichen Gewerbe doch auch Menschen wie du und ich sind. Zwischen Alltag und Auftragsmord den Spagat zu schaffen, das ist schon beachtlich. Zugleich sind Menschen wie Kabuto Gefangene in ihrer eigenen Welt, denn ein gemütlicher Ruhestand ist für die Killer, die zu viel wissen, nun mal nicht vorgesehen.

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Veröffentlicht am 17.06.2024

Grab im Wald

Totholz
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Die eher unorthodoxen Ermittler des Polizeireviers Miesbach am Tegernsee waren mir lange unbekannt geblieben, aber als ich vor zwei Jahren erstmals auf Andreas Föhr und seine Romanbesatzung um Kommissar ...

Die eher unorthodoxen Ermittler des Polizeireviers Miesbach am Tegernsee waren mir lange unbekannt geblieben, aber als ich vor zwei Jahren erstmals auf Andreas Föhr und seine Romanbesatzung um Kommissar Clemens Wallner und den Leonhardt Kreuthner stieß, war mir klar: Davon will ich mehr lesen. Einiges habe ich mittlerweile nachgeholt und als der neue Band "Totholz" erschien, war ich natürlich sofort interessiert.

Auch mit dem mittlerweile elften Band nutzen sich die Miesbacher Ermittler nicht ab - und in der Hörbuchversion kommt mit Sprecher Michael Schwarzmaier der passende bayerische Zungenschlag dazu, der das Hörvergnügen gleich verstärkt.

Wenn ich von unorthodoxen Methoden schreibe, ist vor allem Leo Kreuthner gemeint, der als Jugendlicher von einer Karriere als Autoknacker träumte und auch heute seine besten Freunde im mehr oder weniger kriminellen Milieu hat. Abgesehen von Manfred Wallner, dem 94 Jahre alten Großvater der Kommissars, der vielleicht einen Rollator braucht, aber es an Unternehmungslust mit Jahrzehnte Jüngeren aufnehmen kann.

Mit den nicht ganz so legalen Aktivitäten Kreuthners als Schwarzbrenner beginnt auch "Totholz" - denn mit Pippa Trautmann hat sich plötzlich Konkurrenz breitgemacht. Eine Anzeige erübrigt sich aus naheliegenden Gründen, also schreitet Kreuthner zur Selbstjustiz, wobei eine Kanone aus dem 19. Jahrhundert und Manfred Wallner zu einem Auftakt mit Knalleffekt beitragen.

Tatsächlich landet Pippa dank der Bemühungen Kreuthners in Untersuchungshaft und schlägt einen Deal vor: Wenn sie auf freien Fuß gesetzt wird, will sie der Polizei den Ort zeigen, wo ein Jahr zuvor Unbekannte einen Mann im Wald vergruben. Denn da könne es ja wohl nicht mit rechten Dingen zugegangen sein.

Als tatsächlich ein Toter gefunden wird, hat die Miesbacher Kripo alle Hände voll zu tun - wer ist der Mann, wer hat Interesse an seinem Tod, und was hat das alles mit den 200 000 Euro zu tun, an denen eine Reihe von Menschen Interesse hat? Nahe der Grabstelle gibt es zwei abgelegene Höfe, deren Bewohner sich im Gespräch mit der Polizei eher verschlossen zeigen. Dank Rückblenden ahnt der Leser früher als die Polizei: Hier hat fast jeder etwas zu verbergen.

Einmal mehr geht es in Miesbach drunter und drüber. Der sensible Wallner, dem immer kalt ist, macht sich Sorgen über falschen Umgang, den Opa Manfred pflegen könnte und der dem alten Mann gefährlich werden könnte. Tatsächlich ist Manfred Wallner kaum zu bremsen, als Kreuthner und seine kleinkriminellen Freunde gewissermaßen in Konkurrenz zur Polizei eigene Ermittlungen führen. Denn plötzlich ist Pippa verschwunden und angesichts der Vorgeschichte muss ja nicht alles über die offiziellen Dienstkanäle laufen...

"Totholz" sorgt sowohl für Spannung als auch für Unterhaltung angesichts der kauzigen Charaktere. Bleibt die Frage: Braucht Wallner auf ewig seine Daunenjacke, oder hält ihn endlich mal jemand warm?

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Veröffentlicht am 05.06.2024

Familiengeheimnisse, Liebe und Versöhnung

Black Cake
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Viele Geheimnisse werden aufgedeckt, doch "Black Cake" von Charmaine Wilkerson ist kein Krimi, sondern eine Familiengeschichte. Die Geschwister Benny und Byron haben sich jahrelang nicht gesehen, seit ...

Viele Geheimnisse werden aufgedeckt, doch "Black Cake" von Charmaine Wilkerson ist kein Krimi, sondern eine Familiengeschichte. Die Geschwister Benny und Byron haben sich jahrelang nicht gesehen, seit die sich unverstanden und unakzeptiert fühlende Benny den Kontakt zur Familie gekappt hat. Nun ist Eleanor Bennett, die Mutter gestorben. Bei der Beerdigung ist die Stimmung zwischen den Geschwistern, die sich einst so nahestanden, zunächst einmal frostig.

Um die letzten Wünsche ihrer Mutter kennenzulernen, müssen sich die beiden allerdings erst einmal eine längere Audioaufnahme anhören, die die Eleanor vor ihrem Tod angefertigt hatte, um Ungesagtes nicht mit ins Grab zu nehmen. Es ist nicht nur eine Liebeserklärung an ihre Kinder, Eleanor deckt auch ihre Familiengeschichte auf, wie sie von einer karibischen Insel erst nach Großbritannien, dann in die USA kam.

Dass der Weg ihrer Eltern, geprägt von Aufstiegswillen und der Betonung von Bildung und Leistung auch eine Flucht vor der Vergangenheit war und ihre Eltern ein Leben lang ein Geheimnis bewahrt hatten, wird Benny und Byron erst jetzt klar. Und sie erfahren, dass sie eine ältere Schwester haben, von der auch ihr Vater nie etwas wusste.

Benny und Byron waren bisher nie in der Heimat ihrer Eltern gewesen. Ihre Verbindung zu ihrem kulturellen Erbe ist eine kulinarische: Der Black Cake, den die Mutter zu Weihnachten und besonderern Familienfesten buk. Im Tiefkühlfach wartet auch jetzt der letzte Black Cake der Mutter darauf, mit allen Geschwistern geteilt zu werden.

Wilkersen hat ihren Roman mit verschiedenen Erzählperspektiven und Zeitebenen geschrieben, den Lesern werden manche Geheimnisse früher enthüllt als den Geschwistern. Gleichzeitig zeigt die Autorin Rassismuserfahrungen auf, die buchstäblich kein Schwarz-Weiß-Schema bedeuten. "Black Cake" ist ein Buch über Liebe und Verlust, über Freundschaft und Vertrauen, Entfremdung und Zusammenkommen. Es wäre leicht, angesichts großer Gefühle in eine Kitschfalle zu tappen, aber Wilkersen vermeidet das souverän in diesem warmherzigen, aber auch vielschichtigem Familienroman.

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Veröffentlicht am 08.05.2024

Ein Cold Case voller Sprengkraft

Das Schweigen des Wassers
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Mit "Das Schweigen des Wassers" weckt Susanne Tägder Erinnerungen, jedenfalls bei meiner Generation. Leser*innen der der Millenials und noch jüngeren Generationen empfinden die Atmosphäre in einem kleinen ...

Mit "Das Schweigen des Wassers" weckt Susanne Tägder Erinnerungen, jedenfalls bei meiner Generation. Leser*innen der der Millenials und noch jüngeren Generationen empfinden die Atmosphäre in einem kleinen Ort in Mecklenburg-Vorpommern kurz nach der Wiedervereinigung vermutlich als Fenster in eine ihnen sehr ferne Welt. Doch damals war die Grenze in den Köpfen noch sehr frisch, die anfängliche Euphorie begann angesichts der Abwicklung tausender Arbeitsplätze einer großen Ernüchterung zu weichen und bei Ost-West-Begegnungen lauerte immer die Frage im Hinterkopf, wie sich Menschen früher verhalten hatten und ob sie womöglich in das DDR-System verstrickt gewesen waren.

Das dürfte vor allem bei der Polizei als Organ der Sicherheitsdienste so gewesen sein. Auch Hauptkommissar Groth aus Hamburg, als "Aufbauhelfer Ost" an den Ort seiner Jugend zurückgekehrt, fremdelt noch mit den neuen Kollegen - und die mit ihm. Ohnehin ist der nachdenkliche Polizist, der eigentlich gerne Germanistik studiert hätte, menschlich etwas spröde und tut sich schwer damit, auf andere zuzugehen. Als ein Mann, der ihn nur kurz vorher angesprochen hat, weil er sich verfolgt fühlte, tot im See gefunden wird, ist Groth einer der wenigen, der nicht automatisch von einem Unfall ausgehen will, schließlich war der Tote obdachlos und Alkoholiker. Ausgerechnet ein Ost-Kollege, der ihm bislang mit unverhülltem Misstrauen begegnete, zieht plötzlich mit ihm an einem Strang - gegen den Willen der Vorgesetzten.

Die hartnäckigen Polizisten stellen fest: Der Mann war der Polizei kein Unbekannter, vor Jahren war er Hauptverdächtiger im Sexualmord an einer jungen Frau, hat sogar gestanden. Ein Geständnis, das aus ihm herausgeprügelt wurde, wie auch die Schwester der Toten, die nach Jahren an ihren alten Heimatort zurückgekehrt ist, nun überzeugt ist. Die junge Frau, deren Rolle den Beamten zunächst einige Rätsel aufgibt, hat eigene Motive, doch auch die Polizisten spüren, dass in dem alten Mordfall der Schlüssel zum Tod des Mannes im See liegt. Dass der Fall auch Sprengkraft in der Gegenwart hat, erschließt sich erst nach und nach.

Susanne Tägder hat einen authentischen Fall zur Grundlage ihres Buches "Das Schweigen des Wassers" genommen und ihr Kriminalroman ist weitaus mehr als ein klassischer Polizeikrimi. Die spröde, zurückhaltende Sprache wird der Mentalität ihrer Protagonisten gerecht. Zugleich gelingt es ihr, die Stimmung der Nachwendezeit einzufangen, als plötzlich jede Realität mehrere Ebenen zu haben schien und die unterschiedlichen Erfahrungshorizonte das Miteinander von Menschen aus Ost und West schwierig machen konnten. Der Kriminalfall wird hier zur Parabel von Schuld, Verantwortung und Aufarbeitung einer Vergangenheit, die nicht vergehen will - und das ist auch sprachlich sehr lesenswert.

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