Was für ein besonderes, emotionales und lehrreiches Buch!
IssaIn „Issa“ begleiten wir die gleichnamige Protagonistin in den frühen 2000ern parallel zu ihren Ahninnen - beginnend mit ihrer Ur-Ur-Großmutter Enanga etwa 100 Jahre zuvor. Issa ist am Anfang ihrer ersten ...
In „Issa“ begleiten wir die gleichnamige Protagonistin in den frühen 2000ern parallel zu ihren Ahninnen - beginnend mit ihrer Ur-Ur-Großmutter Enanga etwa 100 Jahre zuvor. Issa ist am Anfang ihrer ersten Schwangerschaft und wird von ihrer Mutter quasi dazu genötigt, in die Heimat Kamerun zu fliegen und sich dort spirituellen Ritualen zum Schutz der Schwangeren sowie ihres Kindes zu unterziehen. Dort trifft Issa auf ihre Großmutter Namondo und ihre Urgroßmutter Marijoh.
Mit Issas Figur wird eindrücklich der innere Schmerz einer Suche nach der eigenen Identität sowie das von außen zugefügte Leid in Form von Alltagsrassismus in Deutschland gezeichnet. Sie scheint zu weiß für Kamerun und zu Schwarz für Deutschland zu sein. Ihre Reise im Verlauf des Buches mitzuerleben und zu sehen, wie sie ihren Frieden findet, hat mich sehr berührt. Die Erfahrungen ihrer Ahninnen zentrieren sich vor allem um den deutschen Kolonialrassismus sowie das gewaltvolle Patriarchat zu ihren jeweiligen Zeiten, aber auch ganz besonders um weiblichen Widerstand in verschiedenen Formen.
Mirrianne Mahn schafft es auf eine bemerkenswerte Art, die Geschichten aller 5 Figuren miteinander zu verweben, denn schließlich sind sie auch tatsächlich verbunden. Die unbeschreiblichen Gewalterfahrungen von Enenga sowie deren Tochter Marijoh, deren Tochter Namondo und deren Tochter Ayudele (Issas Mutter) resultieren in Strenge und Gewalt, die an die jeweiligen Töchter weitergegeben wird. Die Autorin schafft es meiner Meinung nach an der Stelle geschickt, den Traumata zwar Raum zu geben, Gewalt gegenüber Kindern aber nicht zu beschönigen.
Große Pluspunkte sind für mich der Stammbaum sowie die Landkarte zur Region im Westen Kameruns, in der die Geschichte spielt. Mahn spielt auch mit einem Mix an Sprachen und flicht Worte aus verschiedenen lokalen Sprachen mit ein. Das finde ich einerseits spannend und wichtig, es reißt mich aber trotzdem immer etwas aus dem Lesefluss. Großes Lob daher hier auch für die Umsetzung - Worte, welche im Glossar erklärt werden, sind stets kursiv gedruckt. Dieses einfache Signal hat mir an der Stelle sehr geholfen.
Der Roman hat mir so viel Wissen vermittelt, das ich beschämenderweise nicht hatte. Er enthält vor allem in Issas Erzählperspektive einen angenehmen Humor und eine liebevolle Skepsis den schamanischen Ritualen gegenüber. Ich persönlich habe keinen Bezug zu Spiritualität, fand die Perspektiven darauf aber sehr bereichernd und ausgewogen. Von den Gewalterfahrungen und den deutschen Kolonialverbrechen zu lesen, tut wirklich weh und das sollte es auch. Gleichzeitig war es einfach nur wundervoll zu sehen, wie die Frauen dieser Geschichte miteinander verbunden sind und solidarisch über Generationen hinweg beieinander stehen - auf ganz verschiedenen Wegen. Manche Perspektiven hätten gerade zum Ende hin noch etwas detaillierter sein können, da ich die Figuren dahinter gern näher kennengelernt hätte. Der Punkt lässt sich in meinen Augen aber gut verschmerzen. Ein wirklich großartiges Debüt!