Empfehlung nur für Menschen mit Vorwissen über die DDR und die Wende
Ich habe mich sehr darauf gefreut, das Buch "Verlassene Nester" von Patricia Hempel zu lesen und gemeinsam mit anderen in einer Leserunde zu diskutieren. Über die Leserunde bin ich sehr froh, denn sonst ...
Ich habe mich sehr darauf gefreut, das Buch "Verlassene Nester" von Patricia Hempel zu lesen und gemeinsam mit anderen in einer Leserunde zu diskutieren. Über die Leserunde bin ich sehr froh, denn sonst wäre mir das Weiterlesen noch schwerer gefallen, als das eh schon der Fall ist.
Mein Hintergrund: ich sehe mich durchaus als sehr gebildet und vielfältig interessiert an, bin allerdings aus Österreich und habe kein umfangreiches Vorwissen über die DDR und die Wendezeit. Gerne hätte ich mehr darüber gelernt. Andere Bücher zu diesem Thema haben es schon geschafft, mein Wissen und Verständnis für diese spezielle Zeit zu vertiefen. Von "Verlassene Nester" habe ich mich aber tatsächlich beim Lesen oft verlassen gefühlt. Das Buch ist voll mit Andeutungen in Bezug auf die DDR-Zeit, die aber meistens so unklar bleiben, dass sie sich allein durch das Lesen, ohne zusätzliche Gespräche oder Nachgoogeln, nicht erschließen. Das hat mich immer wieder aus dem Lesefluss herausgerissen, weil ich einfach verwirrt war und nicht verstanden habe, worum es geht. Dazu möchte ich sagen, dass ich seit vielen Jahren unzählige Bücher aus den verschiedensten Kulturkreisen und Zeitepochen lese, und den meisten gelingt es, neuartige Konzepte wesentlich besser bzw. überhaupt zu erklären, entweder eingebettet in die jeweilige Geschichte oder mit Fußnoten oder einem Glossar. Das ist bei diesem Buch nicht der Fall, hier habe ich das Gefühl, ich hätte Brücken zwischen meinem Vorwissen und der Geschichte gebraucht, die mir von diesem Buch aber leider nicht gebaut wurden. Deshalb kann ich es nur Lesenden mit umfangreicherem DDR-Vorwissen, als ich das habe, empfehlen, und das auch nur unter Vorbehalt.
Das Buch verspricht, die Atmosphäre in der Zeit nach der Wende spürbar werden zu lassen. Das gelingt teilweise, aber eben eher, wie oben beschrieben, für Lesende, die schon einiges darüber wissen. Die Charaktere, die im Buch vorkommen, sind überwiegend unsympathisch und nicht empathisch bis richtig manipulativ und gemein gegenüber unterlegenen und schwächeren (jüngeren Kindern, Tieren, schüchterneren Kindern,..), das gilt insbesondere für die beschriebenen drei jugendlichen Mädchen. Wenn ich aus diesem Buch also etwas über die Jugendlichen, die die DDR hervorgebracht hat, herauslesen möchte, dann zeichnet das kein positives Bild. Es kommen also nur relativ wenige Menschen vor, mit denen man sich beim Lesen einigermaßen identifizieren und mitfühlen kann. Ein "schönes" Buch war es zum Lesen also nicht, und aufgrund oben erwähnter Unzulänglichkeiten auch keines, das mich auf emotionaler oder historischer Ebene weitergebracht und gebildet hätte.
2,5 Sterne, die ich hier auf 3 Runde, aufgrund der durchaus interessanten Sprache mit guten Metaphern und vereinzelten Einblicken in eine grundsätzlich sehr interessante Zeit. Dadurch, dass ich das Buch gemeinsam mit anderen hier gelesen habe, habe ich durchaus etwas für mich daraus mitnehmen können. Ich bin aber insgesamt froh, es nun hinter mir lassen zu können. Schade darum.