Hui, da hat sich Frau Berg aber mal so richtig ausgekotzt. Und zwar überall hin. Das sieht ziemlich unangenehm aus und riecht auch streng. Eigentlich müsste man das wegmachen, oder? Nicht dass da noch wer reintritt... Aber, halt, stopp! Hier kann ich nicht anders: Ich mache es nicht weg, sondern breite es aus, so weit ich kann. Ich verteile es, großflächig, damit möglichst viele Leute reintrampeln und es mitnehmen, es weitertragen, hinaus in die Welt. Spread the message!
So oder so ähnlich fühlt sich das vorliegende Werk an. Es ist groß, mächtig und unfassbar laut. Es ist grob, zynisch, bitterböse. Es ist hoffnungslos, selbstkasteiend, anklagend. Es ist niederschmetternd und unterhaltsam zugleich.
Die Sprache ist eine ganz eigene, auf die man sich einlassen muss. Kurz, knapp, in your face. So ein bisschen worst of Schätzing in clever. Das kann schnell ermüdend und/oder anstrengend werden, aber hier passt es zur Stimmung: Zum Gehetzten, zum Verallgemeinernden, zum WTF warum noch ganze Sätze, scheiß doch der Hund drauf.
Inhaltlich breitet Frau Berg hier ein ganz großes Bild aus, ein allumspannendes Wandgemälde geradezu. Alles, was momentan eher, naja, suboptimal läuft, wird auf die Spitze getrieben. Mit dabei unter anderem: Die schlimmsten Auswüchse eines neoliberalen Gesellschaftsystems, der Kapitalismus als Religion, die gewaltige (und gewaltbereite) Rückkehr des Patriarchats in seiner übelsten Form, die totale Überwachung, der Konservatismus in Reinkultur, rechts, rechter, hat noch immer nicht recht und viele andere Schreckgespenster mehr. Needless to say: Für mich las sich das streckenweise wie eine an vielen Stellen nur allzu knapp an der aktuellen Realität vorbeischrammende Horrorstory. Die perfekte Dystopie von Morgen, die an so manchen Stellen schon das Heute ist. Gerade zu Beginn nimmt Frau Berg nämlich reale Ereignisse der jüngeren Vergangenheit und verwebt sie geschickt in ihre Rahmenhandlung, sodass die Grenzen zwischen Ist-Realität und Bald-Fiktion verschwimmen. Der Brand im Grenfell Tower in London soll hierfür beispielhaft genannt werden, zu frisch sind sie noch in meinem Kopf, die Bilder des fackelartig brennenden Sozialwohnhauses in London.
Das Grundgerüst in GRM bilden vier junge Menschen, Kinder zu Beginn des Romans, und Berg erzählt ihre Coming-of-Age-Geschichte, die kaum erstrebenswert ist. Gerade der Anfang des Buches, ca. das erste Drittel hat mich am meisten fertiggemacht (und das soll es ja auch, also ein gutes Buch, mich emotional abholen und mitnehmen in die eine oder andere Richtung). Die vier Kids verlieren ihr Zuhause aus unterschiedlichen grausamen Gründen. Vor allem die Begegnungen zwischen Peter und Sergej sowie Karen und Patuk und die jeweiligen Folgen haben mich fast körperlich gequält. Sehr schlimm, sehr beeindruckend. Und so wird Rache zum Leitmotiv, Rache an den Peinigern, Rache am System.
Sobald die Kids nach London ziehen, verfranst sich die Geschichte etwas. An und für sich nicht schlimm, denn Berg hat Theorien, Szenarien, Ideen und dystopische Ansätze zusammengetragen, die sich sehen lassen können. Aber irgendwie wurde es mir dann doch schlicht und ergreifend zuviel. Die letzten Meter ist Frau Berg (und/oder mir?) dann doch ein wenig die Puste ausgegangen.
Ein durchaus empfehlenswertes, weil super krasses Buch. Sicher polarisierend, sicher zu heftig für manche - aber nun ja, that's life. Heftig, heftig, heftig.