Dass Zwillingsschwestern manchmal die Rollen tauschen, ist seit Erich Kästners „Das doppelte Lottchen“ mehrfach in die Literaturgeschichte eingegangen. In diesem Krimi hat Silke Ziegler eine höchst spannende Variante geschrieben.
Die eineiigen Zwillingsschwestern Charlène und Aurélie gleichen sich zwar äußerlich so sehr, dass sie von niemandem auseinander gehalten werden können. Doch charakterlich scheinen sie weit von einander entfernt. Aurélie ist kunstsinnig, malt und arbeitet als Lehrerin. Sie wirkt verträumt, während Schwester Charlène zielstrebig bis unnachgiebig ist und als Journalistin arbeitet.
Als Charlène Aurélie eines Tages ersucht, sie für einen Abend bei Bastien, ihrem Ehemann, „zu vertreten“, kann Aurélie nicht nein sagen. Ob es daran liegt, dass Charéne so nachdrücklich darauf besteht, oder weil sie doch heimlich nach wie vor in Bastien verliebt ist und sie sich das nicht eingestehen kann, ist nicht ganz klar auszumachen. Jedenfalls tauschen die Schwestern Klamotten Handtasche und Mobiltelefon sowie ihre Rollen und kann sich keinen Reim darauf machen.
Erst als Bastien von Aurélie angefertigte Skizzen im Haus entdeckt, ist sein Argwohn geweckt. Die beiden beschließen, vorerst den Status Quo beizubehalten und auf eigene Faust zu recherchieren.
Die Lage spitzt sich weiter zu, als bei einer männlichen Leiche in Narbonne die DNA von Charléne, die ja als Aurélie gilt, gefunden wird. Als dann auch noch Bastien verhaftet wird, muss Aurélie die Karten auf den Tisch der Ermittler legen.
Meine Meinung:
Ein ziemlich komplexer Krimi, denn er beginnt mit dem Prolog, in dem die Zwillinge knapp sechs Jahre alt sind. Man weiß bis ziemlich zum Schluss nicht, warum die Lage so eskaliert ist. Die dazwischen eingeschobenen Auszüge aus dem Charlénes Tagebuch lassen zwar die eine oder andere Idee aufkommen, aber nichts genaues weiß man nicht.
Die Story ist spannend, weil sich statt Antworten, ständig neue Fragen ergeben. Warum Aurélie sich nicht schon früher Bastien und/oder der Polizei anvertraut hat? Mehrmals habe ich gedacht, jetzt, endlich, deckt sie den Rollentausch auf. Nein, wieder nichts! So dreht sich die Spirale immer schneller. Dass Bastien, Charlénes Ehemann nicht erkennt, dass es sich um die Zwillingsschwester handelt? Nun ja, die Beziehung ist ziemlich toxisch und die tote Schwester eine Manipulatorin der ersten Klasse, die vor nichts zurückschreckt, um ihre Ziele zu erreichen.
Dieses Verwirrspiel hat mit gut gefallen, denn man sieht nur, was man sehen will.
Die Charaktere sind gut herausgearbeitet. Hin und wieder habe ich mir zwar gedacht, dass kann doch nicht sein, dass weder in der Arbeit, im Freundeskreis noch beim Ehemann fallen die Veränderungen im Wesen Charléne/Aurélie auf. Die ermittelnden Polizisten haben zwar ein unterschwelliges Gefühl, dass in dieser Dreiecksgeschichte etwas nicht stimmt, können dies natürlich nicht belegen. Das Schweigen der Beteiligten erleichtert ihre Ermittlungen nicht wirklich.
Fazit:
Das Thema eineiige Zwillinge samt bizarrem Rollentausch ist fesselnd umgesetzt worden. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.