Romantik am Mittelrhein
Der Titel und das Cover des Buches haben mich sofort zum Lesen verführt – scheint es doch, als sei hier der Mythos der Loreley aufgegriffen und neu erzählt worden. Doch für alle Cover-Käufer sei gesagt: ...
Der Titel und das Cover des Buches haben mich sofort zum Lesen verführt – scheint es doch, als sei hier der Mythos der Loreley aufgegriffen und neu erzählt worden. Doch für alle Cover-Käufer sei gesagt: lasst euch davon nicht auf eine falsche Fährte locken und lest aufmerksam den Klappentext!
Denn mit der im Titel genannten „Frau am Fluss“, die auf dem Cover auch noch einen langen blonden Zopf trägt und von einem Felsen auf den Fluss hinunterblickt, ist nicht die Sagengestalt Loreley gemeint, die mit ihrer Erscheinung Rheinschiffer in den Tod lockt. Es wird weder die Entstehungsgeschichte des Loreley-Mythos erzählt noch dieser Mythos neu aufgearbeitet (wie das jetzt bei den griechischen Sagen ein großer Trend ist). Es handelt sich ganz einfach um einen historischen Roman, der am Mittelrhein zur Zeit der Romantik spielt – auch wenn in Nebenrollen auch Clemens Brentano und Bettine von Arnim auftreten.
Man sollte den Roman also nicht mit falschen Erwartungen lesen, um seine Freude daran zu haben. Tut man das aber, entführt das Buch die Leser mit lebhaften Schilderungen in die 1820er Jahre am Mittelrhein, nach Bacharach und St. Goar. Es geht um die schwierige Situation von Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen, die manchmal einfach nicht anders können, als die Karten anzunehmen, die das Schicksal für sie gemischt hat – und sich nicht unterkriegen zu lassen. Auch die beginnende Industrialisierung (hier der Beginn der Dampfschifffahrt) wird anhand historischer und fiktionaler Charaktere beschrieben. Mit den Protagonisten Julie und Johann taucht man ein in die damalige Zeit und bekommt ein farbenprächtiges Porträt dieser Zeit geboten.
Ich habe das Buch als historischen Schmöker sehr genossen, auch wenn ich mir an einigen Stellen gewünscht hätte, dass noch mehr auf die Figuren – insbesondere einige Nebenfiguren – eingegangen worden wäre. Mich hat besonders Ruth fasziniert, Julies blinde Schwester. Gerade in der damaligen Zeit war es sicher unglaublich schwierig für eine Person mit körperlichem Handicap, ihren Weg zu finden. Aufgrund ihrer recht umfangreichen Rolle am Anfang hatte ich gehofft, dass sie im kompletten Roman eine tragende Rolle spielen würde und ich einen tieferen Blick auf sie bekäme – doch leider verliert sich ihre Rolle nach dem ersten Drittel des Romans, was ich sehr bedauert habe. Ihre Figur hätte dem Buch noch so viel mehr Tiefe geben können, dort sehe ich verschenktes Potential.
Blättert man zu den letzten Seiten des Buches, sieht man, dass es sich (mindestens) um eine zweibändige Geschichte handeln wird, denn die Leseprobe für Teil 2 ist schon am Ende dieses Romans eingebunden. Der erste Teil endet im wahrsten Sinne des Wortes mit einem Cliffhanger und so möchte auch ich erfahren, wie die Geschichte weitergeht.
Ich empfehle „Loreley – Die Frau am Fluss“ allen, die an historischen Romanen interessiert sind, denn hier wird eine Zeit beleuchtet, die bisher nicht so oft behandelt wurde – die Romantik. Außerdem erfährt man Wissenswertes über die Industrialisierung der Schifffahrt und hat so auch noch einen Erkenntnisgewinn.