„Die Kinder von Nebra“ von Ulf Schiewe wurde Anfang Mai 2021 mit dem goldenen Homer ausgezeichnet und ist fast zeitgleich bei Bastei Lübbe als Taschenbuch erschienen. Das Buch spielt 4.000 Jahre vor unserer Zeit und erzählt eine fiktive Geschichte zur Himmelsscheibe von Nebra, die es wirklich gibt.
Nebra vor 4.000 Jahren: Es herrscht Aufruhr im Land der Ruotinger. Seit langer Zeit herrscht ein grausamer Fürst über das Volk und opfert Menschen im Namen Hadors. Als der Sohn des Fürsten es zu weit treibt, beginnt sich Widerstand zu regen. Die junge Priesterin Rana träumt von einer friedlichen Welt, in der alle glücklich zusammenleben und sich gegenseitig achten. In der Arbeit ihres Vaters erkennt sie ein Zeichen, um die Menschen zusammenzubringen. Die Göttin des Lichts soll dem Gott der Unterwelt entgegen treten und das geheime Wissen der Bronzescheibe ist der Schlüssel hierzu. Ein gefährlicher Weg steht ihr bevor, den sie nur mit Hilfe mächtiger Verbündeter bestehen kann.
Überraschenderweise habe ich den Roman als Rezensionsexemplar zur Erscheinung der Taschenbuchausgabe von Lübbe zugeschickt bekommen. Ich war schon letztes Jahr neugierig auf das Buch, insbesondere weil es mal zu einer vollkommen anderen Zeit spielt als andere historische Romane, war mir aber auch unsicher, ob es mir nicht zu sehr Abenteuergeschichte sein wird.
Im Schreibstil Ulf Schiewes war ich schnell wieder drin, habe ich doch schon einige Bücher des Autors gelesen. Was ich dabei immer wieder verdränge ist die Tatsache, dass der Autor seine Romane im Präsens schreibt. Das erzeugt für mich mehr Nähe und hat zu dieser Art Geschichte meiner Meinung nach besonders gut gepasst. Wie die Welt vor 4.000 Jahren genau war, darüber können wir nur spekulieren und so mochte ich sehr das Gefühl beim Lesen, dass das Geschehen im Buch quasi in diesem Moment stattfindet. Die Orte und Wälder konnte ich mir sehr gut vorstellen und hatte die meiste Zeit über Bilder in meinem Kopf.
Der Spannungsbogen hat mir insgesamt gefallen, auch wenn die Geschichte etwas in die Länge gezogen wirkt. Es dauert das halbe Buch bis die Geschichte so weit aufgebaut ist, wie es im Klappentext beschrieben wird. Für mich sollte ein Klappentext höchstens das erste Drittel oder Viertel eines Buches beschreiben, denn im Prinzip konnte ich mir so schon herleiten, was im gesamten Buch passieren wird. Das empfinde ich als suboptimal, weil es so etwas die Spannung aus dem gesamten Buch nimmt.
Es wurde wahnsinnig viel Wissen ins Buch eingebracht. Das ist etwas was ich in der Regel sehr mag und ich bewundere den Autor dafür, dass er hier so viel Einbringen konnte, über eine Zeit, die schon so lange her ist. Das Einbinden in die Geschichte ist dem Autor mal besser und mal schlechter gelungen: Zeitweise wurden viele Fakten aneinandergereiht und ich habe mich etwas erschlagen gefühlt, an anderen Stellen wiederum war alles wunderbar mit der Geschichte verbunden und wirkte harmonisch auf mich.
Diesmal sehr aufgefallen sind mir einige Klischees, die mich teilweise sehr gestört haben und mit den Augen rollen lassen haben und sie haben mir zeitweise auch das Zeitgefühl für die Geschichte genommen. Ich will nicht zu genau auf diesen Punkt eingehen, um nicht zu sehr zu spoilern. Das es vor 4.000 Jahren klarere Rollenbilder gab, möchte ich auch gar nicht abstreiten, aber ich glaube schon, dass diese sich doch etwas differenzierter dargestellt haben als es in dem Buch der Fall ist. Wir haben den abgrundtief bösen Fürstensohn, der wirklich nur Arschloch ist und keinerlei positive Eigenschaften hat, wir haben die Heldin, die natürlich anders als andere Mädchen/Frauen ihrer Zeit ist. Es gab teilweise diverse Ansätze im Buch, diese wurden aber einfach nur erwähnt und nicht weiter verfolgt oder wiederum mit einem anderen Klischee verbunden, was mich hierbei etwas zwiegespalten zurücklässt.
Ich habe die Geschichte und das Schicksal der Personen im Buch gerne verfolgt, aber ich kann nicht sagen, dass ich mich einer Person im Buch extrem verbunden gefühlt habe. Gerade bei den Frauenfiguren, empfand ich einige in ihrem Verhalten einfach nur unlogisch. Wahrscheinlich sollte suggeriert werden, dass es sich um komplexe Charaktere handelt, aber dies ist dem Autor meiner Meinung nach nicht so gut gelungen. Insgesamt sind alle Charaktere etwas klischeehaft geraten, an der einen Stelle fällt das mehr ins Gewicht und an anderer Stelle wirkt es hingegen passend.
Es geht in diesem Buch, um die Himmelsscheibe von Nebra, die wirklich existiert und in diesem Buch werden die neuesten Erkenntnisse zu dieser Bronzescheibe in einer fiktiven Geschichte verarbeitet. Diese Verknüpfung ist dem Autor gut gelungen, finde ich. In einem ausführlichen Nachwort gibt Ulf Schiewe ausführlich Auskunft darüber. Das hat mir sehr gut gefallen. Ich konnte das Buch nochmals Revue passieren lassen und so für mich die Geschichte besser einordnen. Einige Fakten wurden sehr gut und glaubhaft ins Buch eingearbeitet.
Weiteres Zusatzmaterial gibt es in Form einer Karte im Buchumschlag auf denen wichtige Ortsnamen vermerkt sind. Darüber hinaus findet sich noch ein Glossar, eine Übersicht über die Klans und Götter im Buch und ein Personenverzeichnis ganz zum Schluss. Die Vorstellung der Götter ist auch innerhalb des Buches gut gelungen. Jedes Kapitel ist einem anderen Gott gewidmet. Wichtig zu wissen, die Namen sind ausgedacht und an spätere uns bekannte Gottheiten angelehnt. Diese Spekulation halte ich durchaus für realistisch.
Fazit: Ein historischer Roman, der für mich Höhen und Tiefen hatte. Die Einbindung der Fakten rund um die Himmelsscheibe von Nebra in eine fiktive Geschichte finde ich gelungen, auch wenn mich das viele allgemeine Wissen manchmal etwas erschlagen hat. Die vielen Klischees haben mich zeitweise genervt und mir ein bisschen das Gefühl für die Zeit genommen, in der der Roman spielt. Empfehlenswert für Personen, die Klischees nicht groß stören und die etwas über das Leben vor 4.000 Jahren und die Bronzescheibe von Nebra erfahren wollen.