Ein halbes Highlight
Von melodischer Leichtigkeit und Poesie sind die Worte, mit denen Valery Tscheplanowa in ihrem autobiographisch inspirierten Debütroman „Das Pferd im Brunnen“ die Bilder dreier Frauen zeichnet, dreier ...
Von melodischer Leichtigkeit und Poesie sind die Worte, mit denen Valery Tscheplanowa in ihrem autobiographisch inspirierten Debütroman „Das Pferd im Brunnen“ die Bilder dreier Frauen zeichnet, dreier Generationen, die sich vom Zweiten Weltkrieg und der Perestroika bis in die Gegenwart erstrecken, von einem kleinen Dorf in Norddeutschland bis nach Russland - und zwischen den Welten: Walja. Über kurze, keinem zeitlichen Faden folgenden Szenen nähert sie sich ihrer Mutter Lena, der Großmutter Nina und deren Mutter Tanja an, den Frauen, die die Wurzeln pflanzten, aus denen sie heute deren Erinnerungen weiterlebt.
"Für die Menschen ist der Wandel in den Neunzigerjahren verheerend. Wie eine schützende Decke ist der Kommunismus über ihren Köpfen weggerissen wurden, und nun ist Selbstständigkeit gefragt. Woher aber Selbstständigkeit nehmen, wenn man ein Leben lang Gehorsam gelernt hat?“ (S. 107)
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Waljas Mutter Lena verließ 1988 das „zerfallende Land“ (vgl. S. 40), um nach Deutschland zu gehen; ihr Bruder Mischa begleitete sie, doch er fühlte sich ratlos in der Fremde, einsam in der Sprache, die er nicht beherrschte, verloren auf den sterilen Gängen des Jobcenters: "Dort im Ausland gab es die erdrückende Selbstverständlichkeit der Unterschied. Ganz so, als gebe es für jeden Menschen eine eigene Realität." (S. 40)
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Sieben Jahre später kehrte er zurück nach Kasan, zurück in die Wohnung seiner Kindheit. Er ist der einzige Mann, der geblieben ist, waren sämtliche Väter aus dem Leben der Frauen verschwunden: „Tanjas Mann war im Krieg gefallen, Ninas Mann hatte sich mit einem Haufen Eier, Brot und Butter in den Herzinfarkt gefressen, und Lenas Mann hatten die Trümmer der Sowjetunion unter sich begraben. Die Gesichter der Väter geisterten fortan in den Köpfen dieser Frauen, und sie fanden die Linien nicht wieder. Die Frauen krempelten die Ärmel hoch. Sie hatten die Kinder zu versorgen, die Tiere zu füttern und die Pflanzen zu gießen." (S. 165) Das war ihnen, diesen so unterschiedlichen Frauen, gemein: ihr Wunsch nach Unabhängigkeit, Selbstbestimmtheit. Und doch spielten auch die politischen Umstände, der Zerfall der Sowjetunion und die damit verbundene Armut eine wegweisende Rolle in ihrer aller Leben.
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Berührend und zermürbend, bisweilen bitter-ironisch und humorvoll sind die Bilder, die Valery Tscheplanowa zeichnet, und von einer sepiafarbenen Weichheit. Sie erzählt von der Rolle des Glaubens und Heiligenbildern, vom Verliebtsein und der Angst vor Einsamkeit, von Fürsorge und Mutterliebe – und dem Fehlen derselben –, vom Älterwerden und dem Tod, von Narben, die die Jahre, die Generationen überdauern und fortleben. Und von den blinden Flecken unserer Geschichte, die wir zu füllen versuchen. Während ich die erste Hälfte förmlich inhaliert habe, vollends geborgen in der Sprache und diesen besonderen Figuren, verlor mich die Geschichte zum Ende hin aus mir unerfindlichen Gründen. Ich kann nicht genau sagen, ob es letztlich die fehlende Präsenz der Erzählerin innerhalb der einzelnen Anekdoten ist, der schleichende Wandel der Tonalität, oder doch das zeitliche Setting, in dem ich das Buch las. Davon abgesehen hatte ich nämlich durchaus das Gefühl, dass das ein unbedingtes Highlight werden würde. Und das wünsche ich mir sehr.