Menschen und Bäume entwurzelt man nicht
Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel neues Sachwissen sich aus einem Unterhaltungsroman ziehen lässt. So auch bei dem vorliegenden Buch, dessen ungewöhnlicher Titel Bezug nimmt auf ein mir bis dato ...
Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel neues Sachwissen sich aus einem Unterhaltungsroman ziehen lässt. So auch bei dem vorliegenden Buch, dessen ungewöhnlicher Titel Bezug nimmt auf ein mir bis dato unbekanntes Naturphänomen, dessen Erforschung sich der inzwischen über achtzigjährige Protagonist Erich zeitlebens verschrieben hat. Als junger Wissenschaftler reist er aus der DDR für Forschungszwecke in die sibirische Taiga, wo er in seinem russischen Assistenten Wolodja einen Freund und in Dascha die Liebe seines Lebens findet. Dascha folgt Erich später in dessen Heimat und wird seine Frau. Im Alter steht er dennoch alleine da, obwohl Dascha nicht vorverstorben ist, und kämpft zusehends gegen seine Altersgebrechen. Geblieben ist ihm seine Liebe zu Bäumen, die er in seiner Plattenbauwohnung züchtet. Als er die Ausreißerin Katharina kennenlernt, deren Vater die Familie verlassen hat, um in Sibirien zu arbeiten, sieht er eine Chance, frühere Fehler wieder gutzumachen.
Das Buch zu lesen lohnt sich wirklich. Anders als man aufgrund des vorderen Klappentextes meinen könnte, ist es nicht vorrangig ein Buch über eine Freundschaft zwischen Alt und Jung (Erich und Katharina). Sie verbindet eher eine Zweckgemeinschaft. Vielmehr dominiert das Thema Liebe, und zwar zur Natur in Gestalt von Erichs Bäumen und zu anderen Menschen (Dascha). Viel Raum nimmt auch die Darstellung des Prozesses der Alterung ein, ohne allerdings traurig zu stimmen, stemmt sich Erich doch auf durchaus humorvolle Weise dagegen, z.B. indem er sich listig seiner Pflegekräfte entledigt. Auflockernd wirkt der Erzählfluss, indem im Wechsel Geschehnisse in Sibirien Jahrzehnte zuvor und in der Gegenwart geschildert werden. Wolodjas Vergangenheit, seine Verbindung zu Erich, der Gang ihrer Beziehung zur selben Frau – alles kommt zunächst bruchstückhaft zu Tage und fügt sich erst später zu einem Ganzen. Die Sprache ist recht poetisch und bildhaft. Das unwirtliche Sibirien hat man gut vor Augen und erhält einen lehrreichen Eindruck über die dortige Natur und ihre Menschen, die in Jurten oder gar wie zeitweise Wolodja in den berüchtigten Arbeitslagern hausen.