Ruchloser Mord in feinen Kreisen
Was mag wohl die Verbindung sein zwischen einem misslungenen Selbstmordversuch, der falschen Anschuldigung eines Schulmädchens des Diebstahls und dem Liebesleben eines berühmten Tennisspielers? Das fragt ...
Was mag wohl die Verbindung sein zwischen einem misslungenen Selbstmordversuch, der falschen Anschuldigung eines Schulmädchens des Diebstahls und dem Liebesleben eines berühmten Tennisspielers? Das fragt sich der neugierige Leser der ob seiner hervorragend ausgearbeiteten Charaktere und der bestechenden, in ihren Bann ziehenden Geschichte, lange bevor sich, zur Buchmitte hin, der teuflisch und akribisch ausgeklügelte Mord in Agatha Christie im Jahre 1944 erschienenen 34. Kriminalroman, ereignet!
Doch in beruhigender Kenntnis der stets genial und zwingend logisch ersonnenen Kriminalgeschichten der unvergleichlichen britischen Schriftstellerin ist er sich gewiss, dass sich ganz allmählich Steinchen auf Steinchen fügen wird - und kann sich behaglich zurücklehnen, um der Dinge zu harren, die da auf ihn zukommen werden! Aber - kann er das wirklich? Wird er nicht vielmehr alsbald gepackt von der atmosphärisch so stimmigen Geschichte, die zunächst trügerisch harmlos daherkommt, die aber voller geradezu bedrohlicher, lange nicht greifbarer Untertöne ist, dass von Behaglichkeit bald keine Rede mehr sein kann?
Ja, genauso ist es! Sowohl Dame Agathas wie gewohnt meisterhafte Erzählweise als auch ihre sorgsam ausgearbeiteten Charaktere nehmen einmal mehr den Leser so gefangen, dass er nicht lassen kann von dem spannenden Roman, und dass er darüberhinaus, gegen Ende durchaus ahnend, worauf er hinauslaufen wird, unbedingt wissen muss, was mit den Protagonisten, dem Mörder - oder der Mörderin? - inklusive, geschieht und wie ihr weiterer Weg aussehen wird.
Und so nimmt es denn auch nicht wunder, dass "Towards Zero" selbst von den anspruchsvollsten und nörgeligsten Kritikern bei Erscheinen rundum positiv aufgenommen wurde und vielfach als eine der besten Kriminalgeschichten Dame Agathas angesehen wird!
Der Schauplatz ist einmal mehr die bezaubernde und malerische südenglische Küste, oberflächlich gesehen zu schön und friedlich, um sich vorstellen zu können, dass ausgerechnet dort ein besessener, geradezu ruchloser Mörder sein Unwesen treiben und seine scheinbar perfekt ausgeklügelte Schandtat begehen könnte, deren Fäden bis weit in die Vergangenheit zurückreichen.
Einmal mehr auch gehören die handelnden Figuren größtenteils zur privilegierten Schicht Großbritanniens, derjenigen also, der die Schriftstellerin aus Torquay selbst angehörte und in der sie sich bestens, und sie dennoch mitunter scharf analysierend, auskannte. Und so kann es den leidenschaftlichen Leser der klassischen, der perfekten Romane Dame Agathas auch nicht erstaunen, dass die Verdächtigen allesamt von der Notwendigkeit jeglichen schnöden Broterwerbs befreit sind und, mehr oder minder genüsslich, dem süßen Nichtstun frönen können und durch allerlei angesagte, den Reichen und Schönen vorbehaltene Aktivitäten die Zeit totschlagen!
Und wie viele Verbrechen mögen wohl aus unendlicher Langeweile geboren sein fragt man sich unwillkürlich, wenn man einen genaueren Blick auf Dame Agathas Charaktere - und das gilt nicht nur für diejenigen in dem an dieser Stelle zu besprechenden Kriminalroman! - wirft, die so offensichtlich sinn- und ziellos durch ihr Leben trudeln...
Und wiederum wie immer auch bei Agatha Christie gibt es in "Towards Zero" jemanden, der den Durchblick hat, der logisch zu denken vermag und sich nicht ablenken lässt von den gar vielen falschen Fährten, der hinter die Fassade schauen kann, die die Charaktere der Autorin gewöhnlich um sich herum errichten - und der am Ende den Fall, gewöhnlich einen oder gar mehrere Morde, löst.
In diesem 34. Roman der Lady of Crime, der zuerst, wie viele ihrer Krimis, in einer Zeitschrift in drei Teilen veröffentlicht wurde bevor er in Buchform erschien, ist das Superindendent Battle in seinem fünften und letzten Fall, den ihm Agatha Christie zugestand, wiewohl er viel später, längst im wohlverdienten Ruhestand, beiläufig erwähnt wird...
Besagter Battle ist im übrigen einer der wenigen Polizeibeamten im Werk der Autorin, der seine Fälle ohne einen der Meisterdetektive zu lösen imstande und diesen intelligenzmäßig ebenbürtig ist.
Der gestandene Polizist wirkt auf den ersten Blick hölzern, langsam und durchschnittlich - wovon man sich allerdings nicht täuschen lassen sollte, denn abgesehen davon, dass er über einen kriminalistischen Verstand und jede Menge Erfahrung und ermittlerische Routine verfügt, ist er auch noch gescheit! Und wer das sofort erkannt hat war der unübertreffliche Hercule Poirot selbst, der in einem Fall gemeinsam mit dem unerschütterlichen Battle ermittelte, und dessen Einfluss trotz seiner Abwesenheit in "Towards Zero" Battle leitet. Tatsächlich hat jener die entscheidende, die Ermittlungen voranbringende Eingebung, als er bei genauerer Untersuchung des Tatortes die Methoden seines belgischen Freundes im Geist Revue passieren lässt....
Und zum Schluss meiner Betrachtungen lohnt es sich, einen Blick auf die Widmung der Autorin zu werfen, die sie auch diesem, ihrem ingeniösen und in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Kriminalroman voranstellt!
Zielperson hier ist ihr guter Freund und Nachbar während der Kriegsjahre, Robert Graves, seines Zeichens ein namhafter britischer Schriftsteller und gefürchteter als auch spitzzüngiger Kritiker, dem sie empfiehlt, den Krimi nur zu seinem Vergnügen und zu seiner Erbauung zu lesen und ausnahmsweise seine unbestreitbaren Fähigkeiten als Kritiker zu vergessen!
Doch wäre es ihr, die sie mit einer tüchtigen Portion britischen Humors gesegnet war, tatsächlich ernst gewesen mit diesem Hinweis - sie hätte selbst Graves Kritik nicht zu scheuen brauchen!