Eine sommernachtswarme, sandpapierraue und wohlige Leseerfahrung
Der 32-jährige Adam, Doktor der Sprachtheorie und angewandten Sprachwissenschaft wird aus seinem geradlinig geregelten Leben katapultiert. Durch eine zufällige Sichtung eines Buches erstarrt seine Mutter ...
Der 32-jährige Adam, Doktor der Sprachtheorie und angewandten Sprachwissenschaft wird aus seinem geradlinig geregelten Leben katapultiert. Durch eine zufällige Sichtung eines Buches erstarrt seine Mutter und durch den Schock spricht sie nicht mehr. Adams vermeintlich verschollen und für tot gehaltener Vater Hubert lebt offensichtlich noch. Um sich Klarheit zu verschaffen und seiner Mutter zu helfen, macht sich Adam, der sich lieber mit Koffern und Leuchtreklametafeln als mit Menschen unterhält, auf eine verrückte Reise durch Deutschland, Prag und die Bretagne.
Anja Baumheier spielt gekonnt und emotionsvoll in zwei Zeitsträngen mit der Sprache. Mal ernst, wissenschaftlich - jetzt weiß ich, was ein Onomatopoetikum ist - und ruhig, dann wieder ausgelassen, überladend, humorvoll. Ihre Charaktere sind so bunt wie das Leben und grundweg sympathisch, liebenswert.
Bei Oda - Adams Mutter - sind es die Hände ihres Ehemannes, die ihr seine Stimmung vermitteln. "Sommernachtswarm, sandpapierrau und wohlig". Als Leser wartet man förmlich darauf, dass die beiden sich an den Händen fassen, um ihre Gefühlslage zu erkennen.
Gedichte von Rilke untermalen die Stimmung, besonders wenn es dramatisch und emotional wird, genauso wie meteorolische Wolkenbetrachtungen (eine düstere Altocumuluswolke) diese noch unterstreichen. Etwas schräg trägt Adam eine innere Leuchtreklametafel mit sich herum, die ihn immer wieder mit bissigen Bemerkungen drangsaliert.
Adam geht einem ans Herz. Der hochintelligente, aber menschenscheue Mann mit autistischen Zügen kommt nur mit präzise definierten Listen - immer mit sieben Punkten - durchs Leben.
Ihn zu begleiten und seine Zerrissenheit zu erleben, wie er sich nach dem Alltäglichen zurücksehnt und gleichzeitig das Neue und Unerwartete schätzen lernt, ist unglaublich unterhaltsam und gleichzeitig berührend. Seine Familie gibt ihm immer wieder Halt und vor allem die wundervolle Großmutter Leska mit ihrem herrlichen Dialekt und ihrer übers Telefon brodelnden Herzlichkeit steht ihm bei.
Die Autorin hat es in einigen Passagen zu gut mit der Sprache gemeint und zeilenweise wunderschöne, aber anstrengend viele Beschreibungen eingefügt:
"Die Stimmung legte sich auf urige Wanderwege, knorrige Wurzeln, felsiges Granitgestein, schroffe Täler, verwitterte Bohlenstege, zauberhafte Fichten, märchenhafte Buchen, verführerische Moore, hurtige Stromschnellen, muntere Haubenmeisen und dunkelgraubraune Sperlingskäuze."
Das fulminante Ende schießt ein wenig über das Ziel hinaus, sorgt aber für ein gutes Gefühl und ein Lächeln.
Mich hat dieser herzenswarme Roman, der ein Statement für Familie und Liebe setzt, sehr unterhalten.