"Das Gutshaus" Band 1 - Glanzvolle Zeiten - von Anne Jacobs, die auch die Trilogie um die Tuchvilla erfolgreich schrieb, erschien als tb im Blanvalet-Verlag, 2017.
Für mich ist die Autorin Anne Jacobs Neuland, Das Gutshaus das erste Buch, das ich von dieser Autorin gelesen habe. Stilistisch eingängig, gut zu lesen, sprach mich das Thema sehr an, da es auch hier (wie bei Ulrike Renks Ostpreußensaga) um ein Gutshaus geht, das in wechselvollen Zeiten des 20. Jahrhunderts den 2. Weltkrieg überdauerte.
Die Hauptprotagonisten sind Franziska Kettler, geb. von Dranitz, die einst in dem Gutshaus aufgewachsen ist und gegen Kriegsende vor der roten Armee fliehen musste sowie ihre Enkelin Jenny, die eines Tages als 24jährige Frau den Entschluss fasst, ihre Oma zu besuchen, die sie kaum kennenlernen konnte.
Der Roman basiert auf zwei Zeitebenen und Handlungssträngen: Zum einen die Zeit ab 1939 und die Kriegsjahre auf Gut Dranitz, zum anderen die Zeit ab 1990, also kurz nach dem Fall der Mauer und der "Wende", die das Ende der DDR bedeutete...
Franziska ist es erst 1990 möglich, nach Mecklenburg-Vorpommern zu fahren, um nachzusehen, ob das Guts- und damit ihr Elternhaus noch steht: Konfliktpotential zwischen Ossis und Wessis, hier personifiziert durch den Bürgermeister Pospuscheit, kennzeichnen die Schwierigkeiten, die Franziska mit dem Wiedererwerb des Gutes hat: Ihre Familie ist 1945 enteignet worden, das Land wurde von den Sowjets unter den Bauern aufgeteilt. Während viele andere Besitztümer restlos zerstört wurden, gleicht es einem Wunder, dass das Haus noch stand: Jedoch ist es sehr reparaturbedürftig, und dieser Aufgabe nehmen sich im weiteren Romanverlauf Franziska und Jenny, die die Erben der von Dranitz sind, an...
Eine weitere Hauptprotagonistin des Romans ist Elfriede von Dranitz, deren Tagebucheinträge das Leben auf dem Gut wie auch die politische Lage in den Kriegsjahren recht überzeugend wiederspiegeln: Tragischerweise war sowohl sie als auch Franziska, ihre ältere Schwester, in einen Major, Walter Iversen, verliebt.
Sehr aussagekräftig sind auch die Sichtweisen des früheren Stellmachers Karl-Erich Schwadtke und seiner Frau Mine, die früher Hausmädchen auf Gut Dranitz war und Franziska von Kindesbeinen an kennt. In großen Teilen ist der Roman eine Erzählung über das alte Gutshaus, das die Zeiten überdauerte - und eine Familien- und Liebesgeschichte derer von Dranitz. Durch Rückblenden in die Tagebücher "Friedchens" enthüllt sich die Dramatik, die die Kriegsjahre und politische Unsicherheit wie auch die Einstellung der Bewohner zu Hitler gut darstellen. Am meisten gefiel mir hier der Großvater Dranitz, dessen Meinung ich mich absolut anschließe. In den Kapiteln, die nach der Wende spielen, gelingt es Anne Jacobs, die mentalen Unterschiede zwischen "Ossis" und "Wessis" realistisch zu beschreiben: Ich fand es mitunter recht köstlich, da ich es genau so ebenfalls erlebt habe (und ich war zweimal in der DDR, als es sie noch gab....). Den Untertitel "Glanzvolle Zeiten" finde ich historisch gesehen eher irreführend: Die Zeit nach 1939 war keinesfalls glanzvoll - ganz im Gegenteil, dies hätte evtl. für die 1920er Jahre zugetroffen....
Fazit:
Ein sehr flüssig und unterhaltsam zu lesender Roman über eine adelige Gutsfamilie in Mecklenburg-Vorpommern im wechselvollen und kriegerischen 20. Jahrhundert, deren Schicksal viele Gutsbesitzer in den östlichen Gebieten teilten. Eine Familie, die durch den 2. Weltkrieg alles verlor - jedoch eine Erbin sich für den Erhalt des 150jährigen Gutshauses nach der Wende einsetzt und - zurückkehrt. Die Liebe überdauerte ebenfalls und ohne den Klappentext hätte ich das Ende, das so nicht vorhersehbar war, noch besser gefunden: Ein stimmiger, runder Schluss ohne Cliffhanger, jedoch mit einer Vorfreude auf den 2. Band dieser geplanten Trilogie. Von mir gibt es eine Wertung von 4* und 90° auf der "Histo-Couch".