Kurzrezension mit leichten Spoilern, die länger geworden ist als erwartet.
Inhalt
Schon seit einiger Zeit tauscht der 17-jährige Simon sich mit Blue, einem Schüler seiner Schule, per Mail über seine Wünsche und Geheimnisse aus. Eines dieser Geheimnisse ist die Tatsache, dass Simon wie Blue schwul ist, er allerdings noch nicht bereit ist, sich zu outen. Eines Tages findet jedoch ein Mitschüler die Mails auf dem Schulcomputer und beginnt, Simon systematisch damit zu erpressen…
Übersicht
Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Balzer & Bray / Harperteen
Seitenzahl: 336
Altersempfehlung: 12-17 Jahre
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens
Perspektive: aus weiblicher Perspektive (Cat)
Kapitellänge: mittel bis kurz
Tiere im Buch: + Es wird zwar beschrieben, dass der Protagonist früher gerne angelte, jedoch werden alle Tiere, die im Buch vorkommen (Bieber, der Hund der Familie) sehr gut behandelt und sehr geliebt.
Warum dieses Buch? Verfilmung?
Dafür gab es viele Gründe: Das Buch hat wahnsinnig gute Bewertungen, wird von einem großen Hype umrankt, beschäftigt sich mit einem interessanten Thema (besonders als angehende Lehrerin interessant) und wurde gerade verfilmt. Zum Film möchte ich übrigens gleich eines sagen: Mir hat er wirklich unheimlich gut gefallen, vielleicht sogar besser als das Buch. Ich habe Tränen gelacht, es gab aber ebenso ernste, traurige und wütend machende Momente. Daher möchte ich euch (und engstirnigen / konservativen / homophoben Menschen sowieso) den Film dringend ans Herz legen!
Meine Meinung
Einstieg (+)
Die Story startet mit dem Tag, an dem ein Mitschüler die Mails findet. Ich habe sofort in die Geschichte gefunden und wollte unbedingt wissen, wie es weitergeht.
Schreibstil (+)
Der Schreibstil ist sehr einfach, flüssig und angenehm zu lesen, wenn auch nicht besonders poetisch oder erinnerungswürdig. Becky Albertallis locker-flockige, humorvolle Art zu erzählen und die positive, fröhliche Grundstimmung im Buch machen die Lektüre zu einem kurzweiligen, unterhaltsamen Leseerlebnis (perfekt bei einem Jugendroman).
„It was like he had pulled the ideas from my head.
Like the way you can memorize someone’es gestures but never know their thoughts. And the feeling that people are like houses with vast rooms and tiny windows.“ E-Book, Position 451
Englisch (Schwierigkeit 1/3) – leicht
Wenn ihr gerade noch überlegt, ob ihr euch dieses Buch auf Englisch zutrauen könnt: Ja, definitiv – der einfache Schreibstil macht es auch WiedereinsteigerInnen leicht, der Geschichte zu folgen (das Buch eignet sich daher perfekt für Wortschatzarbeit). Mein Tipp: Auf einem E-Reader lesen, dann können die max. 2-3 unbekannten Wörter pro Seite bequem nachgeschlagen werden (meist sind sie aber auch problemlos aus dem Kontext erschließbar).
Inhalt, Themen, Botschaften, Ende & eine kleine Anekdote zum Thema Homophobie unter jungen Menschen (♥)
Abwechselnd begleiten wir Simon und erhalten Einblick in die Mails zwischen ihm und Blue; diese beiden Teile der Geschichte greifen immer perfekt ineinander und verraten uns viel über Simons Innenleben.
Der Jugendroman behandelt Themen, die für die Zielgruppe (aber auch Erwachsenen sei dieses Buch ans Herz gelegt!) relevant sind, wie Selbstfindung, Abnabelung von der Familie, Freundschaft, erste Liebe, Mobbing, Vertrauen und die Konsequenzen von Fehlern. Natürlich steht aber auch noch ein anderes wichtiges Thema im Fokus: der Umgang mit der eigenen Homosexualität und die Befürchtungen rund ums bevorstehende Outing. Ich finde es toll, dass dieses Buch verfilmt wurde, denn so erreicht es bestimmt noch mehr Menschen, fördert damit Toleranz, enttarnt Vorurteile und ermutigt und unterstützt vielleicht sogar so manche/n Betroffene/n. Denn leider werden Homosexuelle immer noch angefeindet, beleidigt oder sogar angegriffen.
Leider ist mir nämlich in letzter Zeit vermehrt aufgefallen, dass immer noch viele Jugendliche und Kinder extrem von ihren konservativen, homophoben Elternhäusern geprägt sind, dass sie nichts über das Thema wissen und bei einem Outing immer noch Angst vor Mobbing haben müssen („Du bist schwul!“ ist immer noch eine beliebte Beleidigung). Dazu eine winzige Anekdote aus dem NachhilfelehrerInnen-Alltag (ich verspreche, dass dies der einzige Bereich sein wird, indem ich das selbstauferlegte Wortlimit sprengen werde): Vor einigen Monaten gab ich einer Gruppe aus mehreren Jungen im Alter von etwa 12-14 Jahren Nachhilfe. Nachdem „schwul“ als Beschimpfung eingesetzt wurde, sagte ich: „Na, und selbst wenn er schwul wäre, wäre doch nichts dabei. Wir sind nicht mehr im Mittelalter, heute darf jeder so leben, wie es ihm gefällt und wie es ihn glücklich macht. Egal ob er Männer oder Frauen oder beides liebt.“ Erstaunt und traurig gemacht hat mich die Reaktion der Kinder: Mit schockiert eingefroren Gesichtern warfen sie sich gegenseitig unsichere, beschämte Blicke zu, als hätte ich gerade etwas absolut Entsetzliches, Schockierendes gesagt wie zum Beispiel ein derbes Schimpfwort. –> Das war mein persönlicher Facepalm-Moment in der letzten Zeit. Das alles hat sich in einer eher ländlichen Gegend abgespielt, dennoch ist die Intoleranz der Jugendlichen für mich unglaublich. Bestimmt hat noch niemand mit ihnen über das Thema gesprochen, etwaige schwule, lesbische oder bisexuelle KlassenkameradInnen haben es mit Sicherheit sehr schwer.
Die Beschäftigung mit dem Thema (es war wichtig, wurde aber nicht irgendwie übertrieben in den Mittelpunkt gerückt, sondern als natürlicher Teil von Simons Leben präsentiert) hat mir an sich gut gefallen, jedoch hätte man beim Dekonstruieren von Klischees und Vorurteilen und generell bei manchen Aspekten noch mehr in die Tiefe gehen können. Hierfür gibt es einen Stern Abzug.
Protagonist (♥)
Simon ist ein komplexer, sich selbst reflektierender, sehr sympathischer Protagonist, der mir beim Lesen durch sein großes Herz und seine authentisch geschilderten Probleme und Ängste sofort ans Herz gewachsen ist. Die meisten Jugendlichen (egal ob weiblich oder männlich) werden sich mit ihm identifizieren können, und auch ich wurde durch die Schilderungen davon, wie er sich durch den täglichen High-School-Wahnsinn kämpft, an meine eigene Schulzeit zurückversetzt.
Figuren (+)
Auch die anderen Figuren sind großteils liebevoll gezeichnet, manche Figuren und ihre Beziehungen untereinander (z. B. Nora, Simons Schwester) hätte die Autorin hierbei noch genauer ausbauen / ausarbeiten können.
Spannung & Atmosphäre (+)
Es wird niemals langweilig, Becky Albertalli kreiert eine Geschichte, deren Ausgang man unbedingt erfahren will. Immer wieder gibt es positive und negative Höhepunkte in Simons Leben, bei denen ich richtig mitfühlen, mitleiden und mich mitfreuen konnte. Toll!
Humor (+)
Der Humor, der immer wieder durchkommt, ist meiner Meinung nach sehr charmant eingearbeitet und konnte mich ebenfalls überzeugen.
Love is in the Air (♥)
Die Liebesgeschichte hat mir sehr gut gefallen; man spürt, wie sich die Zuneigung von Blue und Simon immer stärker aufbaut und ist natürlich mehr als gespannt, wer sich hinter dem mysteriösen Pseudonym versteckt. Das Ende fand ich schön, vielleicht etwas zu märchenhaft (im echten Leben kann das Outing mit Sicherheit auch viel schwieriger sein, da Simon schon in einem recht modernen, toleranten Umfeld lebt), aber es brachte die Geschichte zu einem süßen, runden Ende, das mich sehr zufrieden zurückgelassen hat. Denn genau das wünscht man sich für Simon: dass er glücklich wird.
Geschlechterrollen (+)
Auch bei diesem Punkt kann die Autorin überwiegend punkten: Männer dürfen weinen und Mädchen dürfen stark und wild sein und Jungen verteidigen; Simons Mutter hat außerdem einen Job als Psychologin und wird als sehr intelligent präsentiert. Nicht gefallen hat mir die seltene Verwendung des Wortes „Bit***“, auch wenn es hierbei keine wirklich problematischen Szenen gab. Inwieweit es der Autorin gelungen ist, sich in einen homosexuellen Teenager hineinzuversetzen, kann ich vermutlich nicht wirklich beurteilen (das können nur Menschen, die selbst betroffen sind), aber ich fand ihn sehr authentisch und gut ausgearbeitet. Einen dicken Extrapunkt gibt es zudem dafür, dass auf das Thema Vielfalt und Diversität großer Wert gelegt wurde!
Mein Fazit
„Simon vs. the Homosapiens Agenda“ ist ein flüssig und locker-flockig geschriebener Jugendroman, dessen positive Grundstimmung das Buch zu einer unterhaltsamen, kurzweiligen Lektüre macht. Die Autorin erschafft eine authentische, sehr sympathische Hauptfigur, die einem schnell ans Herz wächst und kann auch mit ihren (diversen) Nebenfiguren überzeugen. Es werden Homosexualität und weitere wichtige Themen aufgegriffen und angemessen behandelt. Jedoch hätte die Autorin bei einigen Aspekten durchaus noch mehr in die Tiefe gehen dürfen. Dieses Buch sollte in jeder Schulbibliothek enthalten sein und auch besonders intoleranten / homophoben Menschen ans Herz gelegt werden. Meine Hoffnung ist, dass dieses emotionale Buch seinen kleinen Beitrag dazu leistet, dass unsere Welt eine freiere, tolerantere, friedlichere und glücklichere wird.
Leseempfehlung: Uneingeschränkte Leseempfehlung!
Bewertung
Idee, Themen, Botschaft: 4 Sterne
Worldbuilding: 5 Sterne
Ausführung: 4 Sterne
Einstieg: 5 Sterne
Schreibstil: 4 Sterne
Protagonist: 5 Sterne ♥
Nebenfiguren: 4 Sterne
Atmosphäre: 4,5 Sterne
Spannung: 4 Sterne
Liebesgeschichte: 5 Sterne ♥
Ende: 5 Sterne ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Geschlechterrollen: +
Insgesamt:
❀❀❀❀ Lilien
Dieses Buch bekommt von mir 4 zufriedene Lilien!