Trotz des erschütternden INhalts eine unbedingte Lesempfehlung
Um es gleich vorwegzunehmen - dieses Buch, das gerade rechtzeitig zur 75 Jahre der Befreiung der Konzentrationslager und dem Ende des Zweiten Weltkriegs erschienen ist, ist nichts für Zartbesaitete. Es ...
Um es gleich vorwegzunehmen - dieses Buch, das gerade rechtzeitig zur 75 Jahre der Befreiung der Konzentrationslager und dem Ende des Zweiten Weltkriegs erschienen ist, ist nichts für Zartbesaitete. Es zeigt den schonungslosen Überlebenskampf im KZ-Alltag des KZs Auschwitz-Birkenau.
Die 19-jährige französische Jüdin wird 1944 gemeinsam mit ihrem Vater, dem Neffen und dem gerade einmal 12-jährigen Bruder Gilbert nach Birkenau deportiert. Ohne es zu wissen oder auch nur zu ahnen, liefert sie ihre männlichen Verwandten der sofortige Ermordung in der Gaskammer aus, weil sie ihnen rät, den bereitstehenden Lastwagen zu besteigen. Noch 70 Jahre später, wird sie sich deswegen Vorwürfe machen.
Die grausame Behandlung, die schwere Arbeit, der ewige Hunger und das Absprechen jeder Menschenwürde lässt die Autorin ihre Leser durch die einfache, schnörkellose Sprache hautnah miterleben. Auch der Übersetzerin gebührt hier großes Lob, denn diese erlittenen Qualen adäquat zu übersetzen, ist eine Meisterleistung.
Nach der Befreiung des KZ Birkenau und der Rückkehr nach Frankreich, findet sie ihre Mutter und die Schwestern wieder. Doch die frühere Vertrautheit will sich nicht mehr einstellen. Ginette kann über ihre Erlebnisse nicht sprechen. In nüchternen Worten erzählt sie, wie hilflos Mutter und Schwestern ihr gegenüber stehen. Wie soll man einem Menschen, der dieses Martyrium überlebt hat, begegnen?
Jahrelang hat sie diese schrecklich Zeit für sich behalten. Selbst ihrem Ehemann, auch ein Überlebender der Shoa, verheimlicht sie ihre Erfahrungen. Doch als Stephen Spielberg für seinen Film „Schindlers Liste“ nach Zeitzeugen sucht, schließt sie sich einer Gruppe Überlebender an. Sie beginnt Führungen für Schulklassen abzuhalten und kehrt nach Birkenau zurück. Das Wiedersehen dieses Orts des Grauens löst keinen Flashback aus. Sie versucht, falsche Überlieferungen zu korrigieren: Die Mär, dass alle die gestreifte Sträflingskleidung tragen mussten, ist so eine. Denn so erzählt sie: „Wir waren es nicht wert, diese gestreifte Sträflingskleidung zu tragen. Für uns mussten Lumpen genügen.“
Auch mit der Ausstellung in Auschwitz geht sie hart ins Gericht: „Ich mag Auschwitz nicht, diese leicht voyeuristische Anhäufung. Ich habe das Gefühl, dass dort alles zum Mitleid bewegen soll. Das hat mich nie beeindruckt.“
Aufwühlend und nicht von der Hand zu weisen, ihr Appell an die Schüler, den sie jedem einzelnen mitgibt:
„Wenn ihr hört, wie Eure Eltern, Verwandten oder FReunde rassistische, antisemitische Äußerungen von sich geben, fragt sie warum. Ihr habt das Recht zu diskutieren, sie von dieser Meinung abzubringen, ihnen zu sagen, dass sie sich täuschen.“
Dem ist wohl wenig entgegen zu setzen.
Fazit:
Ein erschütterndes Buch, das unbedingt gelesen werden sollte. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.