Der Herr der menschlichen Spuren
Das ist der Bildhauer Jang Unhyong auf eine ganz besondere Art und Weise: denn er fertigt Gipsabdrücke von menschlichen Körperteilen - nur von weiblichen Modellen - ab, die er nachgießt. Mal sind es Hände, ...
Das ist der Bildhauer Jang Unhyong auf eine ganz besondere Art und Weise: denn er fertigt Gipsabdrücke von menschlichen Körperteilen - nur von weiblichen Modellen - ab, die er nachgießt. Mal sind es Hände, mal das Gesicht, mal das Becken. Es hängt davon ab, was ihm jeweils als besonders schön aufgefallen ist.
Schönheit liegt im Auge des Betrachters: das trifft auf keinen besser zu als auf besagten Bildhauer, der die Frauen gezielt anspricht. Durch seine ebenso zurückhaltende wie sichere Art kommt er meist zum Ziel.
Es ist auffällig, dass die Frauen im Leben des Bildhauers befangen sind, sie sind nicht im Einklang mit sich und vor allem mit ihrem Körper, es hapert bei ihnen am Selbstwertgefühl. Und ausgerechnet Jang Unhyong, der ihnen dieses entgegenbringt, wird von ihnen ausgenutzt, auf bestimmte Art und Weise.
Auf einmal ist er einfach nicht mehr da - ebenso wie sein letztes Modell, eine Innenarchitektin mit einem Makel an der Hand. Einen, der für ihre Mitmenschen nicht mehr ersichtlich ist, unter dem sie aber dennoch leidet.
Auf der Suche nach ihrem Bruder übergibt die Schwester des Bildhauers dessen Aufzeichnungen der Schriftstellerin H. Ob sie wohl fündig wird, fündig werden kann?
Es ist ein Roman über menschliche Spuren, menschliche Werte und die Einsamkeit - sowohl des Menschen an sich als auch die der Spuren, die er hinterlässt. Über (Un)Verbindlichkeiten und Wertschätzung, die eigene wie auch die der anderen. Ein Roman mit einer starken Symbolik, in den sich vieles hineininterpretieren lässt, der aber gleichzeitig viele Fragen aufwirft. In mir hat er viele Emotionen hervorgerufen - einerseits empfand ich ihn als irritierend, ja verstörend, andererseits aber auch als eine Art Ermunterung zur Akzeptanz seiner selbst - gerade als Frau. Han Kang schreibt eindringlich und sehr klar, auch gibt es einen gewissen Spannungsaufbau - mir jedenfalls fiel es hier leicht, am Ball zu bleiben, mehr noch: ich wollte das Buch nicht aus der Hand legen. Dennoch fand ich mich am Ende mehr als verwirrt wieder. Oder wie durcheinander gewirbelt. Vielleicht ist es das, was gute Literatur ausmacht: sie verändert ein winziges Bisschen im Menschen oder gar ein.
Der Vergleich von Han Kang zu Murakami, der des öfteren gezogen wird, passt aus meiner Sicht ganz und gar nicht, denn die koreanische Autorin Han Kang hat mit jedem ihrer Romane etwas ganz Eigenes, Neues, nie Dagewesenes geschaffen, das sich mit nichts anderem vergleichen lässt. Ich empfehle ihn jedem Leser, der offen ist für etwas vollkommen anderes und freue mich selbst schon auf das nächste Mal, wenn ich mich wieder von Han Kang verwirren lassen kann!