Ein unbeschreibbares Buch
Bei dieser Überschrift könnte man sich fragen, warum ich überhaupt eine Rezension geschrieben haben, denn wie soll man etwas beschreiben, was nicht beschreibbar ist? Ja, das ist ein ominöses Rätsel, das ...
Bei dieser Überschrift könnte man sich fragen, warum ich überhaupt eine Rezension geschrieben haben, denn wie soll man etwas beschreiben, was nicht beschreibbar ist? Ja, das ist ein ominöses Rätsel, das richtig gut zu „Ein wirklich erstaunliches Ding“ passt, da dieses Buch für mich auf ewig ein ominöses Rätsel sein wird und das durchaus im positiven Sinne gemeint.
Bold wurde als Imprint des dtv angekündigt wurde, das die junge Generation ansprechen will, indem es deren Bedürfnis nach politischen und gesellschaftlichen Themen in den Fokus nimmt. Die ganze Aufmachung dieser Nische wirkt sehr erwachsen und dennoch stellte sich natürlich bei mir die Frage, was genau dieses Imprint liefern wird, da die Umschreibungen doch recht vage blieben. Mit „Ein wirklich erstaunliches Ding“ ist nun das erste Buch des Programms erschienen und der Klappentext hatte zwar genug semantische Botschaften, aber so richtig erahnen konnte man dennoch nicht, wie der Inhalt des Buchs wohl aussehen wird. Daher hat bei mir vor allem der Name Hank Green gezogen, da es sich bei ihm um den Bruder des erfolgreichen Bestsellerautors John Green handelt. Natürlich ist es ein bisschen naiv zu sagen, wenn John schreiben kann, dann muss das auch Hank können, aber erkunden wollte ich es definitiv.
Die große Stärke dieses Romans ist ganz sicher der Erzählstil. Der Leser wird immer wieder direkt angesprochen und dadurch wird ein Gefühl von Interaktivität erzeugt, das dem Medium Buch nun mal normalerweise nicht gegeben ist. Zudem wird man nicht nur angesprochen à la: „Ich will dir mal was erzählen…“, sondern die Erzählerin geht davon aus, dass man die Geschichte bereits kennt und dass man sie nun aus ihrer Sicht erzählt bekommt. Dadurch entstehen ein paar Kniffe, die es ermöglichen mit typischen Lesegewohnheiten zu spielen, wie z. B. dass es viele gibt, die bis zum Ende vorblättern und dann entscheiden, ob sie weiterlesen. Ein weiterer Vorteil des Stils ist, dass man für die Erzählerin, April, Sympathien entwickelt, obwohl sie im Fortgang der Handlung nicht immer positiv wegkommt. Durch ihre reflexive Nachbetrachtung bewertet sie sich aber selbst, so dass man sich ihr letztlich doch nahefühlt. Auch dies würde ich als Kniff bezeichnen, der gelungen ist.
Während der stilistische Teil der Geschichte noch gut zu packen ist, wird es bei dem Inhalt des Romans schon schwieriger, ohne anderen Lesern zu viel vorwegzunehmen. Grob kann man sagen, dass es sich wirklich um eine hochintelligente Betrachtung der aktuellen digitalen Welt handelt, die aber auch ein zentrales Sci-Fi-Element mit reinnimmt, das ich nicht nennen möchte, weil es eben die zentrale Überraschung der Handlung ist. Man hat durchaus manchmal das Gefühl, dass die Handlung sich in ferner Zukunft abspielen muss, aber andererseits ist alles so realitätsnah, dass einem klar wird, genauso könnte es sich jeden Moment tatsächlich zutragen. Aber nicht nur die ganzen einzelnen Handlungsbögen sind sehr intelligent und weitsichtig gestaltet, sondern auch die Reflexion des Ganzen. Nicht nur April reflektiert sich selbst, sondern durch April reflektieren wir auch die Vor- und Nachteile der digitalen Welt. Natürlich merkt man schnell, dass es sich um eine Ansammlung von Gedanken handelt, die jeder schon mal hatte, Green erfindet also keine neuen Ansätze, aber diese fiktiv so geschickt verpackt zu sehen, das ist das Highlight.
Auch wenn das Buch eine klare Botschaft hat, die mir persönlich gut gefällt, hatte ich gerade zum Ende hin das Gefühl, dass irgendwie doch etwas fehlt. Vielleicht wollte Green am Ende auch zu viel und hat dadurch ein paar logische Löcher eingebaut. Zudem wirkt das Ende unbefriedigend. Es passt zum Gesamtkontext, dass alles irgendwie offen wirken soll, aber für mich war es eben nicht perfekt. Das ist jetzt wirklich super subjektiv, da es nicht einen Autor gibt, der den Geschmack jedes einzelnen Lesers zu 100% trifft, aber bei mir bleibt immer ein bitterer Beigeschmack, wenn gerade das Ende, das letzte Gefühl, mit dem man das Buch verlässt, Fragen aufwirft. Aber ich gestehe doch ein, dass dies Klagen auf hohem Niveau ist.
Fazit: Ich hätte hinter „Ein wirklich erstaunliches Ding“ niemals das Buch erwartet, was ich bekommen habe. Alleine deswegen würde ich das Leseerlebnis schon jedem Interessierten anraten. Zudem trifft es den Zahn der Zeit wirklich sehr intelligent und auch der Schreibstil erweist sich als spielerisch und experimentell. Ich habe mich jedenfalls sehr gut unterhalten gefühlt. Nur noch eine kleine Warnung: nach dem Namen würde ich definitiv nicht gehen, da Hank und John Green doch sehr unterschiedlich schreiben, aber beide gut.