Am besten wird die Autorin selbst aus ihrer Nachbemerkung in dem Buch zitiert, denn sie gibt voll umfänglich wieder, worum es ihr geht und was ihr mit dem Buch auch gelingt: „Zeugnis abzulegen wider das Vergessen, auf dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Zwischen 1914 und 1945 liegen nur einunddreißig Jahre. Wie konnte es innerhalb dieses Zeitraums zweimal zu einem derartigen Weltenbrand kommen?“
Eine Antwort darauf versucht diese Geschichte zu geben, und zwar anhand der deutschen Familie Sadler. Der Vater ist schwer versehrt aus dem ersten Großen Krieg auf den landwirtschaftlichen Hof im Grenzgebiet zu Polen zurückgekehrt, einer seiner Söhne gar nicht mehr. Der jüngste Sohn, eigentlich von einem Leben als Musiker träumend, betreibt die Landwirtschaft notgedrungen weiter gemeinsam mit seiner Ehefrau, die ein Geheimnis aus ihrer Vergangenheit vor ihrer Familie hütet. Zwei Kinder gehen aus der Ehe hervor – die naturwissenschaftlich hochbegabte Kathi – die Protagonistin - und die kranke Franzi. In dem im Fokus stehenden Zeitraum ab Ende der 20er Jahre werden die politischen Veränderungen in Deutschland auch bei ihnen auf dem Land immer spür- und sichtbarer.
Um erneut die Autorin zu zitieren, „ist viel über den Ersten und Zweiten Weltkrieg geschrieben worden“. Trotzdem enthält dieses Buch so manche mir bis dato unbekannte neue Information und Sichtweise, weshalb ich es sehr gerne gelesen habe. Einschränkend möchte ich aber nicht unerwähnt lassen, dass etwa das letzte Viertel der Geschichte nicht mehr an den anfänglichen größeren Teil heranreicht. Hier treten Entwicklungen ein, die mir zu unrealistisch und zu weit hergeholt erscheinen. Auch das Thema Spionage, das sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht, gehört in diese mir nicht so recht zusagende Kategorie. Deshalb weiß ich noch nicht so recht, ob ich den für Herbst 2020 angekündigten zweiten Band „Als die Sehnsucht uns Flügel verlieh“ lesen werde. Einerseits will ich natürlich wissen, wie es Kathi in Russland weiter ergeht. Andererseits aber befürchte ich, dass die dann behandelten Themen – Kathis Zusammenarbeit mit den Russen im Wettlauf zum Mond, der Versuch ihrer Mutter, den Ehemann aus einem sibirischen Gefangenenlager zu befreien – mich nicht wirklich packen werden.
In formaler Hinsicht weist das Buch einige schöne Besonderheiten auf: Zitate zu Beginn eines jeden Kapitels, die von Romanfiguren oder wichtigen Personen der Weltgeschichte stammen; eine Landkarte Schlesiens in den Grenzen von 1914 im vorderen und hinteren Bucheinband; Auszüge aus Feldpostbriefen, ein Glossar und eine Zeittafel im Anhang.
Sehr empfehlenswert für Leserinnen und Leser von Familiengeschichten mit Interesse an der deutschen Geschichte.