Sehr lesenswert
Bei diesem Werk handelt es sich um einen "Dorfroman". Er spielt in Unterleuten, einem fiktiven 200-Einwohner-Dorf, gelegen "eine Stunde von Berlin". Die darin geschilderten Ereignisse, die eine gewisse ...
Bei diesem Werk handelt es sich um einen "Dorfroman". Er spielt in Unterleuten, einem fiktiven 200-Einwohner-Dorf, gelegen "eine Stunde von Berlin". Die darin geschilderten Ereignisse, die eine gewisse Dramatik entwickeln, sind zeitlich im wesentlichen im heißen Sommer 2010 angesiedelt, mit einem Nachspann im April 2011. Für die "Ureinwohner" ist dieses Dorf "ein Gefängnis", für die Stadtflüchtlinge, die nach Unterleuten gezogen sind, ein Freiheitsversprechen, das aber enttäuscht wird. Trotz seines Umfangs von 640 Seiten lässt sich das Buch gut lesen. Mit seinen 61 Kapiteln und einem Epilog ist es in verdauliche Häppchen gegliedert. Es kommt mit weniger als 20 Hauptprotagonisten aus, darunter starke und polarisierende Charaktere. Es ist eine schöne Idee, jedes Kapitel aus der Perspektive eines Protagonisten zu erzählen, und dadurch die Erzählperspektive in jedem Kapitel wechseln zu lassen. Ein Namensverzeichnis erleichtert den Überblick, auch eine Grundstückskarte des Dorfes ist beigefügt. "Das Dorf als Dostojewski-Roman", heißt es auf Seite 415 ironisch. Das ständige Wechseln der Perspektive kann verwirren, muss es aber nicht. Die Charaktere werden dadurch in ihrer Innen- und Außensicht gezeigt, wirken mal sympathisch, mal unsympathisch. Einen "Helden", mit dem sich der Leser identifiziert, gibt es am Ende aber nicht. Die Autorin zeigt anschaulich und unaufdringlich, wie alles an allem und jeder an jedem hängt, und wie Verflechtungen und Verknüpfungen zwangsläufig dazu führen daß des einen Freud des andern Leid sein wird und zuletzt keine Gewinner sondern nur Verlierer bleiben. Keiner wird gewinnen - weil sich alle irgendwie gegenseitig bekriegen. Homo homini lupus.
Das alles spielt in dörflicher Nach-Wende-Umgebung in der Priegnitz - man hat als Leser das Gefühl, man schaut zu und ist dabei - nicht von oben in's Goldfischglas sondern auf der Dorfstraße.