Frühling 1972 in der hessischen Kleinstadt Mainheim: Ein tragischer Badeunfall ihres Klassenkameraden Guy überschattet die bis dahin sorglose Kindheit von zwei Freundinnen Minka und Caro und hat eine tiefgreifende Wirkung auf die weitere Entwicklung ihres Heimatortes. Er wird zu einer Industriestadt, was nicht nur positive Folgen nach sich zieht. Denn der Fortschritt und zunehmender Wohlstand erfolgen auf Kosten der Umwelt. Minka und Caro merken sehr schnell, dass die Veränderungen einen großen Schaden einrichten und engagieren sich für den Naturschutz, doch ihre Stimmen werden nicht ernst genommen. Und dann entdecken sie, dass in dem bis vor kurzem idyllischen Städtchen auch noch grausame Tierversuche stattfinden, von denen nur wenige Eingeweihte wissen.. Mutig beschließen sie, die Öffentlichkeit aufzuklären...
Und das ist erst der Anfang der Geschichte, denn Katharina Fuchs spannt in „Unser kostbares Leben“ einen großen Bogen, der bis in das Jahr 2021 reicht. Spannend und eindrucksvoll erzählt sie von den Schicksalen der drei Protagonistinnen Caro, Minka und Claire, einem vietnamesischen Waisenmädchen, das 1972 nach Mainheim kommt. Die Autorin schuf mit ihnen lebendige und facettenreiche Charaktere, die zwar sehr unterschiedlich sind, aber eins gemeinsam haben: Sie sind mutig, stark und bereit, für ihre Ziele zu kämpfen. Mir wurden alle drei schnell sympathisch, aber besonders beeindruckend fand ich Minka, die als Umweltaktivistin ihre Ideale tatsächlich lebt. Die Geschichte von Claire hat mich wiederum tief bewegt und schockiert, erst recht, nachdem ich etwas recherchiert und erfahren habe, dass Heimkinder früher tatsächlich als „leicht verfügbares Material“ für medizinische Tests benutzt wurden. Ein wahrlich dunkles Kapitel in der Geschichte der Pharmaforschung und ich finde es mutig und absolut richtig, dass die Autorin dieses wichtige Thema aufgreift.
Den Hintergrund für die fiktiven Schicksale der ProtagonistInnen bilden authentische politische und gesellschaftliche Ereignisse der 70er und 80er Jahre. Katharina Fuchs gelingt es sehr gut, den Geist dieser durch Krisen und Umbrüche gekennzeichneten Zeit in ihrem Buch einzufangen. Für mich, die in den 70er geboren wurde, war die Lektüre eine hochinteressante Reise in die Zeit meiner Kindheit und der frühen Jugend. Ich musste allerdings feststellen, wie sehr ich diese verklärt habe, nach dem Motto „Früher war alles besser“. Nicht wirklich – stinkende Luft, vergiftete Flüsse, grauenerregende Tierversuche... Mir wurde zum ersten Mal so richtig bewusst, wie egoistisch und kurzsichtig man damals in puncto Naturschutz gehandelt hat. Es gab ihn quasi noch nicht und der Schaden, der der Umwelt durch die Industrialisierung zugefügt wurde, ist erschreckend. Ich habe einen großen Respekt vor Menschen, die damals schon dessen Tragweite erkannt und sich für den Naturschutz engagiert haben. Ich hoffe sehr, dass dieser Roman, dessen wichtigste Botschaft für mich Minkas Worte sind „Wir können nicht darauf warten, dass die Zeit etwas verändert, wir müssen es selbst tun.“ zahlreiche Leser wachrüttelt und zum Handeln bewegt. Denn es geht um nichts weniger als unser aller Leben. Und dieses ist in der Tat kostbar.
Fazit: Mit ihrem neuesten Werk liefert Katharina Fuchs einen gut geschriebenen und bewegenden Roman, der – obwohl die Handlung fast ausschließlich im letzten Jahrtausend spielt – mit seinem Thema hochgradig aktuell ist und den Nerv unserer Zeit trifft. Von mir eine klare Leseempfehlung!