Kein aufmunternder Wohlfühlroman!
Achtung: Die Lektüre dieses Buches kann zu einem schwerwiegenden Anfall von Fernweh führen!
Genau wie bei Kira Mohns Kanada-Dulogie muss ich diesen Warnhinweis dringend vor den ersten Teil ihrer brandneuen ...
Achtung: Die Lektüre dieses Buches kann zu einem schwerwiegenden Anfall von Fernweh führen!
Genau wie bei Kira Mohns Kanada-Dulogie muss ich diesen Warnhinweis dringend vor den ersten Teil ihrer brandneuen Island-Reihe voranstellen - denn mich hat auch nach "The Sky in Your Eyes" das Fernweh wieder fest im Griff. In anderen Bereichen kann dieser neue Roman in meinen Augen aber nicht ganz an Kira Mohns Vorgänger anknüpfen. Zwar gibt es auch hier wie gewohnt eine gefühlsvolle, leise Liebesgeschichte und gesellschaftlich relevante Themen vor einem Traumsetting, leider konnte mich die Geschichte um Elín aber aus verschiedenen Gründen nicht so emotional mitnehmen. Nach längerem Nachdenken und einem spaßigen Buddyread mit Sofia von @SofiasworldofBooks habe ich also beschlossen, dass ich den Roman zwar grundsätzlich weiterempfehlen, aber nicht zu meinen Lieblingen der Autorin zählen kann.
Bevor ich damit beginne, meinen gemischten Eindruck zu begründen, muss ich erst noch ein paar Worte zur wunderschönen Gestaltung loswerden. Das Cover zeigt eine einsame, verschneite Winterbucht, über der die Nordlichter in strahlenden Grün- und Blautönen leuchten. Der geschwungene und mit goldenem Staub verzierte Titel passt dabei sowohl graphisch als auch inhaltlich perfekt ins Bild. Das Motiv der Polarlichter setzt sich auch innerhalb des Buches fort und ist zu Beginn eines jeden Kapitels zu finden. Hervorheben will ich auch die stimmungsvollen Fotos von wichtigen Schauplätzen, die wir zusammen mit Jón und Elín im Laufe der Handlung besuchen, und die in eine Karte Islands integriert in den Leselaschen zu finden sind. Ein weiteres tolles Extra der Gestaltung sind die hinten angefügten Rezepte zu dem veganen Kochkurs, der hier einen nicht ganz unerheblichen Teil der Handlung einnimmt. Ohne zu sehr mit dem Moralknüppel anzukommen lässt Kira Mohn Wissen über und Argumente für eine vegane Ernährung miteinfließen und macht somit gleich Lust zum Nachkochen der Rezepte.
Was ich bei "The Sky in Your Eyes" aber schmerzlich vermisst habe und worüber auch die ansonsten tolle Gestaltung nicht hinwegtäuschen kann ist eine Triggerwarnung. Zwar ist unter dem Klapptext auf der Rückseite des Buches angegeben, dass es um Bodyshaming und Selbstfindung geht, da die Selbstachtung der Protagonistin jedoch sehr gering ist, sie einen ungesunden Bezug zum Thema Essen pflegt und auch toxische Beziehungen und sexueller Missbrauch eine große Rolle spielen, hätte ich mir eine ausführlichere Auflistung der möglichen Trigger gewünscht.
Erster Satz: "Um die Reynisdrangar ranken sich viele Legenden"
Diese Rezension zu schreiben, fällt mir sehr schwer, da mir nicht ganz klar ist, wie ich meinen persönlichen Leseeindruck ehrlich vermitteln soll, ohne dabei uneinfühlsam und oberflächlich zu klingen. Da es bekannterweise nicht besser wird, wenn man lange um den heißen Brei herumredet, komme ich gleich zum Punkt: Auch wenn ich grundsätzlich ein einfühlsamer Mensch bin, fiel es mir während der 336 Seiten durchgängig sehr schwer, einen Zugang zu Elín zu finden und habe öfter die Augen über sie verdreht, als ich das angesichts des ernsten Themas sollte. Woran lag das, frage ich mich also? Weshalb konnte mich Elíns Leiden emotional so gar nicht abholen und hat mich eher genervt?
Grundsätzlich finde ich es sehr gut, dass sich Kira Mohn in ihrem Roman mit dem Thema Bodyshaming auseinandersetzt, ich habe mich aber an mehreren Stellen gefragt, was sie uns mit dieser Geschichte eigentlich sagen will. Wenn es ihr Ziel war, Menschen, die unter ähnlichen Problemen wie Elín leiden Mut zu machen und eine aufmunternde Geschichte über Persönlichkeitsentwicklung und Bodypositivity zu erzählen, ist sie nämlich leider episch gescheitert. Denn dazu ist die Darstellung insgesamt einfach zu negativ und auch in ihrer Entwicklungsdynamik nicht ganz unproblematisch. Zwar kommt Elín am Ende an einem Punkt an, an dem man sie guten Gewissens sich selbst überlassen kann, ich finde es aber extrem schade, dass sie dazu Jón gebraucht hat. Klar kann Bestätigung und Unterstützung von außen helfen, es ist aber eine eher mittelmäßig gelungene Message, wenn Elín nachdem sie sich endlich von Daníel gelöst hat, ihren Selbstwert wieder von einem anderen Mann abhängig macht. Eine Erkenntnis aus eigener Kraft und eine Entwicklung, die wirklich aus ihrem Inneren angestoßen wird, hätte mir hier viel besser gefallen.
"Im Schein der Straßenlaternen sind unsere Atemwolken zu sehen. Ich stelle mir vor, wie sie zu winzigen Kristallen werden, die langsam zu Boden sinken. Dort liegen sie dann, eine Million gesprochener Worte unter unseren Füßen."
Was ebenfalls nicht gerade dazu beiträgt, die Geschichte als aufmunterndes Positivbeispiel zu präsentieren, ist die sehr deprimierende Stimmung. Durch viele Wiederholungen des wiederkehrenden Gedankenkarrussels, welches kaum eine Szene ohne mindestens einen negativen Gedanken an Elíns Körper, ihr Gewicht, Essen oder ihre Wirkung auf andere verstreichen lässt, war ich schon nach den ersten hundert Seiten zerrissen zwischen Mitleid und dem Wunsch, sie und alle um sie herum wahllos anzubrüllen. Wohlwollend betrachtet sind die vielen negativen Gefühle, die während des Lesens in mir aufkamen, ein Zeichen dafür, dass es Kira Mohn gelungen ist, zu vermitteln, was im Kopf eines Menschen abläuft, der sich selbst aufgrund von Lernerfahrungen, gesellschaftlichen Idealen oder Anfeindungen nicht akzeptieren oder gar lieben kann. Denn eigentlich ist es ja gar nicht Elín mit ihren negativen Gedanken, die mich zunehmend genervt hat, sondern vielmehr, dass sie in einem Umfeld lebt, in der sie solche Gedanken überhaupt entwickelt. Ihre Familie, Daniel, ihr Arbeitskollege, die ganze Gesellschaft - das sind die richtigen Adressen für meinen Stress, meine Wut, meine Ungeduld und meinen Wunsch, das Buch an die Wand zu werfen. Besonders zwei männliche Nebenfiguren waren so unfassbar ekelerregend gestaltet, dass ich mich mehrmals gefragt habe, ob die Autorin all ihre Probleme mit dem männlichen Geschlecht in diesem Buch verarbeitet hat. War es also stattdessen Kira Mohns Ziel, in ihren LeserInnen diesen Frust gegenüber der Gesellschaft, Männern und allem was schiefläuft zu wecken, kann ich bestätigen, dass es funktioniert hat.
"Sie alle mochten mich nicht. Mochten keinen Körper nicht. Und mein Körper ist nun mal das, was jeder als Erstes wahrnimmt, noch bevor ich die Möglichkeit habe, witzig oder klug oder sonst wie liebenswert zu sein."
Da sich Kira Mohn bei den geschilderten Erfahrungen und Gedanken an den tatsächlichen Erlebnissen von fünf Frauen orientiert und deren Erfahrungswelt zu einer Figur kondensiert hat, würde ich der Geschichte inhaltlich mal eine realistische Schilderung attestieren Auch wenn ich persönlich mit vielen Gedanken nichts anfangen konnte, da ich mich in meinem Körper sehr wohlfühle und noch nie mit Body Shaming konfrontiert wurde, kann ich nach dem Lesen nun besser nachvollziehen, weshalb das Thema so wichtig ist und was man vielleicht auch im Umgang mit sehr unsicheren Menschen beachten muss. Leider hatte ich schon während des Lesens manchmal das Gefühl, mit Elín eine Ansammlung verschiedener Probleme und Komplexe vor mir zu haben und keine ganzheitliche Figur, was vielleicht auch erklärt, weshalb ich emotional nicht wirklich nah an ihr oder der Liebesgeschichte dran war. Auch Jón fand ich als Figur leider nur mittelprächtig. Außer dass er gut aussieht, gerne fotografiert und als Kind Segelohren hatte, erfahren wir nicht besonders viel über ihn, sodass er zwar ein äußerst nettes aber trotzdem nur ein Randdetail bleibt, das Elín in ihrer Entwicklung hilft. Ich denke, dass eine abwechselnde Erzählweise der Geschichte also in doppelter Hinsicht gutgetan hätte. Erstens hätte so Elíns sehr negativer Selbstsicht eine positivere Außenperspektive gegenübergestanden, was zum Verständnis ihres Charakters sowie zum Aufbessern der Stimmung beigetragen hätte und zweitens hätte man so Jón mehr Tiefe verleihen können. Die Liebesgeschichte, die die beiden verbindet, ist demnach zwar in für Kira Mohn typischen leisen Tönen und magischen Momenten geschrieben, hat aber deutlich weniger emotionale Tiefe anzeigen lassen, als sie hätte haben können.
"Jón zu küssen ist ein Gefühl wie lachen und fliegen und träumen gleichzeitig."
Wer sich nun fragt, weshalb ich die Geschichte unterm Strich doch weiterempfehlen kann: ich habe noch gar nichts zu Schreibstil und Setting gesagt. Diese beiden Elemente der Geschichte täuschen nämlich über den für mich sehr schwer nachvollziehbaren Inhalt, die eher deprimierende Stimmung und die glanzlosen Figuren gelungen hinweg und haben dafür gesorgt, dass ich trotzdem gerne dabeigeblieben bin. Ohne das wundervolle Setting, den humorvollen, sarkastischen Schreibstil der Autorin und einige atmosphärische Szenen wäre mein Urteil wohl deutlich schlechter ausgefallen. Nach Kanadas Nationalpark und Irlands Küste entführt die Autorin diesmal an den Sehnsuchtsort Island. Zusammen mit Elín und Jón besuchen wir nicht nur die Gletscherhöhle im Vatnajökull, machen Fotos am Diamantstrand in der Gletscherlagune Jökulsarlon, Picknicken bei Sonnenaufgang am Skogafoss, sondern genießen auch den Ausblick auf die berühmten Reynisdrangar. Kira Mohn hat sich wirklich Mühe gegeben, ihre melancholische Liebesgeschichte in ein dunkles, kaltes, aber unheimlich magisches Setting einzufügen, dem man sich gar nicht entziehen kann. Auch wenn also ein gemischter Eindruck zurückbleibt, bin ich gespannt auf Band 2, der sich um die Umweltaktivistin Lilja dreht und freue mich schon sehr, nach Island zurückzukehren!
"Als Kind hat mir mein Vater immer erzählt, die in Farben getauchte Nacht sei das Werk von winzigen Elfen, die zwischen den Sternen tanzen, und manchmal würden sie Wünsche erfüllen. Obwohl meine Wünsche eher selten von den Elfen erfüllt wurden, finde ich es noch heute schwer, beim Anblick schillernder Lichtbänder nur an elektromagnetische Teilchen in der Erdatmosphäre zu denken."
Fazit:
Anders als gedacht ist "The Sky in Your Eyes" kein aufmunternder Wohlfühlroman, sondern hat mich mit der speziellen Protagonistin und deren negativen Gedankenschleifen emotional nicht abholen können. Das Traumsetting in Island, der humorvolle und atmosphärische Schreibstil von Kira Mohn und das Ansprechen mehrerer wichtigen Themen trösten aber gut über den für mich sehr schwer nachvollziehbaren Inhalt, die eher deprimierende Stimmung und die glanzlosen Figuren hinweg.