Anti-Heimatroman, der eine Region kontextualisiert
Zu einem umfassenden “Anti-Heimatroman” gehört, tief reinzugehen in die Wunden dieser widersprüchlichen Landschaft und ihrer Bevölkerung und das schafft Thielemann hier meiner Meinung nach gut. Er zeigt ...
Zu einem umfassenden “Anti-Heimatroman” gehört, tief reinzugehen in die Wunden dieser widersprüchlichen Landschaft und ihrer Bevölkerung und das schafft Thielemann hier meiner Meinung nach gut. Er zeigt Kontinuitäten der Heide auf, die sich von Anfang des 20. Jahrhunderts bis heute spannen: Vom antis%mitischen Hermann Löns, der “Heidedichter”, der den “Mythos Heide” maßgeblich geprägt hat und dessen Werk im N_tionalsozialismus ein Bestseller war, über Jannes Großvater, sich die “alte Zeit” zurückwünscht, bis hin zu v°lkischen Siedlern, die ihre Ideologie auf diesem Nährboden anschlussfähig verbreiten können.
Es ist nicht der stetige Donner, die Schießübungen vom nahegelegenen Truppenübungsplatz, der nicht in der Heide akzeptiert wird, nicht die ansässige Rüstungsindustrie. Auch nicht der Fakt, dass die Heide als von Menschenhand erschaffene Kultur- und Tourismuslandschaft definitiv nicht “natürlich” und schon gar nicht “ursprünglich” ist. Nein, der Wolf ist der angeblich unnatürliche, bedrohende Feind, der ausgerottet gehört. Und Jannes? Jannes lässt sich als 19-jähriger natürlich komplett beeinflussen von Familie, Freunden und Nachbarn.
Stilistisch fand ich viel gut, anderes nur okay. Manchmal hat es sich ein bisschen gewollt gelesen. Von mir aus hätte alles noch ein Tick unbequemer sein können; wobei diesen Eindruck die wunderbar natürlichen Dialoge und der realistische Dialekt fast schon wett gemacht haben.
Ich fand Von Norden rollt ein Donner super interessant, weil es einer der ersten deutschsprachigen Romane für mich war, die den Themenkomplex "Natur", Landwirtschaft, Ländlichkeit usw. kritisch eingeordnet und in Kontext eingebettet haben.
Am Ende bleibt uns ein Protagonist, der keinen Platz bekommt, eine andere, bessere Zukunft zu imaginieren. Und weil wir (auf dem Land lebenden Personen) das dringend brauchen: für den nächsten Buchpreis wünsche ich mir einen Anti-Heimatroman, der sich um die Zukunft kümmert und einige Themen, die hier angerissen und offen geblieben sind, weiterspinnt.