Wenn Recht nicht Gerechtigkeit ist
Liest euch den Klappentext vorher bitte NICHT durch!
"Wenn Recht nicht Gerechtigkeit ist"...mit diesem Satz wirbt der Verlag für dieses Buch und ich kann dem zu 100% zustimmen. Was für eine Geschichte! ...
Liest euch den Klappentext vorher bitte NICHT durch!
"Wenn Recht nicht Gerechtigkeit ist"...mit diesem Satz wirbt der Verlag für dieses Buch und ich kann dem zu 100% zustimmen. Was für eine Geschichte! Wow!
Mechthild Borrmann hat ihren neuen Roman in zwei Zeitebenen angelegt. 1970 steht Hanni wegen Mord und Brandstiftung vor Gericht. Sie schweigt jedoch zu den Vorwürfen. Einzig ihre Jugendfreundin Elsa besucht sie jeden Tag während des Prozesses in Aaachen. Sie ist nicht überzeugt von Hennis Schuld und verfolgt den Ablauf gespannt. Dabei wird sie von einem jungen Mann angesprochen, einem Jurastudenten, der sich für den Fall interessiert und auch eine Arbeit darüber schreibt. Er möchte mehr über die Hintergründe der Verurteilung und über Hennis Leben wissen.....
Die Autorin wechselt zwischen verschiedenen Zeitebenen, Personen und Orten. Das erfordert anfangs etwas Konzentration und Aufmerksamkeit, jedoch sollte man dran bleiben, denn schon nach kurzer Zeit kann man das Buch nicht mehr aus der Hand legen.
Der Einstig ist eher ruhig, denn Borrmann hat ihre Geschichte so angelegt, dass man zuerst mit Ennie in ihren Erzählungen in die Vergangenheit zurückreist.
Wir begeben uns in das Dorf Velda nahe der deutsch-belgischen Grenze. Elsa lebt im Nachbarhaus, wo einst Hennis Familie, die Schönings gelebt haben.
Henni ist erst 12 Jahre, als ihr Vater aus dem Krieg zurückkehrt. Der gelernte Uhrmacher ist zum Kriegzitterer geworden und wird arbeitslos. Er wird immer depressiver und wendet sich schlussendlich der Kirche zu. Henni und ihre Mutter beginnen für den Lebensunterhalt zu sorgen, doch es reicht einfach nicht aus. Als auch noch plötzlich die Mutter stirbt, wollen ihr Vater und der Pastor, Henni und ihre Geschwister Matthias, Fried und Johanna ins Heim stecken. Doch Henni hat ihrer Mutter kurz vor ihrem Tod versprochen für ihre Brüder und die Schwester zu sorgen und übernimmt mit ihren 17 Jahren die ganze Verantwortung, während ihr Vater sich dieser entzieht und sich zu einem bigotten, faulen und kalten Menschen entwickelt.
Bald bleibt den Kindern nicht mehr wirklich viel zum Leben und Henni entschließt sich den "Grenzgängern" anzuschließen. Viele aus dem Dorf, das zwischen der Eifel und der belgischen Grenze liegt, schmuggeln Kaffee, den sie gegen Lebensmitteln tauschen. So kommen die Meisten über die Runden. Henni schließt sich den Dörflern an. Einige Zeit geht alles gut, doch nach einem kleinen Zwischenfall wird die gängige Route stärker bewacht und Henni entschließt sich über das Moor zu gehen. Eiinge Wagemutige schließen sich ihr an, doch letztendlich kommt es zu einem tragischen Vorfall. Henni wird daraufhin in die Besserungsanstalt gesteckt und ihre Brüder kommen ins Waisenhaus...und hier fängt erst das richtige Grauen für die Kinder an...
In einem weiteren Erzählstrang in der Gegenwart, die im Roman 1970 spielt, lernen wir den Künstler Thomas kennen. Hennis Bruder Fried bittet ihn als Zeuge auszusagen. Eine Ordensschwester aus dem Kinderheim in dem Matthias, Fried und Thomas waren und deren Willkür sie ausgesetzt waren, ist angeklagt. Durch die Erinnerungen von Thomas an seine schlimme Kindheit, erfährt der Leser mehr über die Zeit im Heim, die Thomas noch heute in seinem Träumen quält.
Auch Elsas Leben wird beleuchtet. Obwohl sie eine wichtige Funktion hat, bleibt sie doch eher eine Nebenfigur.
Mechthild Borrmann hat mit einigen ehemaligen Waisen geprochen, die in diesen meist kirchlichen Institutionen untergebracht waren. Die Zustände waren großteils unbeschrieblich. Grausamkeiten im Namen der Moral und des Glaubens, jedoch jenseits genau dieser Werte. Sogar Folterungen der Kinder waren an der Tagesordnung. Obwohl die Autorin eher sachlich und nüchtern erzählt, sind viele Begebenheiten teilweise so unmenschlich und grausam, dass man es sich gar nicht vorstellen kann.
Auch über die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und dem allgegenwärtigen Hunger, der den Schmuggel und Schwarzhandel förderte, erzählt die Autorin näher.
Schreibstil:
Mechthild Borrmann schreibt hier eher nüchtern, jedoch hätte wohl kein Leser einen sehr bildhaften und emotionalen Schreibstil bei all den Grausamkeiten ausgehalten. Trotzdem ist der Roman atmosphärisch sehr dicht und stimmungsvoll. Mein Kopfkino war immerzu am Laufen....
Besonders entwickelte ich aber eine immer stärkere Abneigung gegen den Vater, die sich beim Lesen zum Hass entwickelte. Dies zeigt von der grandiosen Charakterdarstellung und der Schreibskunst der Autorin.
Die kurzen Kapitel lassen sich angenehm lesen und man fliegt förmlich durch den Roman und bangt um Hennis Zukunft.
Fazit:
Ein Roman, der zwar fiktiv ist, bei dem die Autorin jedoch Missstände in Waisenhäusern aufgreift, die tatsächlich stattgefunden haben. Bewegend und emotional wird hier vom Schicksal einer Familie und ein Stück Zeitgeschichte erzählt. Eine Lektüre auf hohem Niveau! Von mir gibt es eine absolute Leseempfehlung!