Lyle und Peg Hovde sind überglücklich, als ihre Tochter Shiloh nach ein paar wilden Jahren mit ihrem kleinen Sohn Isaac zurück zu ihnen zieht, ins ländliche Wisconsin. Insbesondere der kleine Enkel bringt fortan einen ganz neuen Aktivitätsschub in ihr Leben und sie genießen ihre Großeltern-Zeit. Insbesondere Lyle und Isaac haben eine enge Beziehung, der „alte“ und der „kleine“ Kumpel verbringen viel Zeit miteinander, während Peg es genießt ihre geliebte Tochter wieder um sich zu haben. Shiloh wurde von den beiden adoptiert und es wirkt so, als ob die beiden deshalb fast noch ein bisschen glücklicher darüber sind, sie als Kind haben zu dürfen. Warum genau Shiloh zu ihren Eltern zurückkam, wird nicht ganz klar, denn sie beginnt schnell, einer neuen allzu engen Bindung den Riegel vorzuschieben. Sie gehört einer kirchlichen Gemeinschaft an, die sich in einer nahen Kleinstadt namens La Crosse eine Gemeinde aufgebaut hat. Deren Prediger Steven hat eine Beziehung mit Shiloh, und in jedem Fall eine Menge Einfluss. Obwohl Lyle seinen eigenen Glauben vor langem verloren hat und Peg eigentlich fest in ihrer protestantischen Tradition verankert ist, besuchen die beiden gemeinsam mit ihrer Tochter die Gottesdienste der Gemeinschaft. Schnell wird vor allem Lyle klar, dass ihm die gesamte Konstellation nicht koscher erscheint, die Haltung der Gemeinschaft zu bestimmten Themen ist sehr rigoros – und schwer nachvollziehbar. Doch jede Kritik oder vorsichtige Nachfrage führt dazu, dass Shiloh damit droht, den Eltern den Kontakt zu ihr und vor allem Isaac gänzlich zu untersagen, selbst in extremen Situationen ist sie rationalen Argumenten – und Tatsachen – gegenüber nicht mehr empfänglich. Wie vorhersehbar, führt alles irgendwann zu einer Eskalation mit ungewissem Ausgang.
Seit „Die Herzen der Männer“ bin ich ein großer Freund von Butlers Stil. Seine genaue Beobachtungsgabe, sein feinfühliges Gespür für leise Töne bei großen Themen und vor allem auch hier wieder, der Blick eines männlichen Protagonisten auf einen Themenkomplex, der so gerne als weiblich besetzt oder dominiert dargestellt wird. Die klassischen 3K -Kinder Küche Kirche. Vergessen werden sollte jedoch nicht, dass selbstverständlich die Männer sich ebenfalls in diesem Feld bewegen – ihr Alltag dadurch bestimmt wird. Der Leser erlebt am Beispiel von Lyle so unittelbar mit, wie er zum einen die Zeit mit Isaac genießt, wie wohl er sich fühlt, Geschichten und Erfahrungen weitergibt und auf der anderen Seite, wie sehr er darunter leidet, was durch Shilohs völlige Ausrichtung nach den Glaubenssätzen ihrer Kirche dann geschieht. Wunderschön fand ich das Motiv der Apfelplantage, auf der Lyle tätig ist. In meinen Augen setzt Butler sie als Allegorie zu den anderen Geschehnissen im Buch ein.
Für mich persönlich, sehr rational, eher agnostisch als gläubig, auf jeden Fall evolutionistisch und nicht kreationistisch, ist das alles, was hier geschieht, sehr schwer fassbar. Ich kann einfach nicht nachvollziehen, dass Menschen so denken und handeln – man könnte glatt sagen, mir fehlt der Glaube… aber ich weiß natürlich, dass es das gibt. Und das ist tragisch. Aber auch das ist ja meine Außensicht, meine naturwissenschaftlich geprägte, „unverständige“ Art. Ich finde es sehr schwierig zu beschreiben, was ich darüber denke, eigentlich möchte man/möchte ich sagen, „ich weiß es besser, ihr seid auf dem Holzweg, ihr seid gemeingefährlich, für euch, für andere, das ist Fahrlässigkeit bis zum schlimmsten“ – und andererseits glaube ich an die Prämisse, dass jeder für sich entscheiden müssen darf, was er glaubt, solange es in den Grenzen der Gesetzgebung stattfindet UND aber auch, solange nicht das Wohl eines Menschen gefährdet ist, der diese Entscheidung nicht getroffen hat. Deshalb habe ich ein Problem mit nicht-impfenden Eltern, deshalb möchte ich auch Shiloh hier im Buch am liebsten an den Schultern packen und schütteln. Diese Grenze auszuloten, ist nicht nur eine der im Buch angesprochenen Schwierigkeiten des Themas.
Fazit: Nickolas Butler hat es wieder geschafft, mich weit über die Lektüre hinaus mit der Thematik seines Romans zu beschäftigen. Mehr geht nicht.