Sprachlich gut geschrieben, aber sehr selbstbezogen
Potenziell furchtbare TageIn "Potenziell furchtbare Tage" lernen wir die Autorin Bianca Jankovska kennen. Eine junge Frau Anfang 30, ursprünglich eine Karriere als Journalistin planend, dann von den Rahmenbedingungen enttäuscht ...
In "Potenziell furchtbare Tage" lernen wir die Autorin Bianca Jankovska kennen. Eine junge Frau Anfang 30, ursprünglich eine Karriere als Journalistin planend, dann von den Rahmenbedingungen enttäuscht noch einen juristischen Master draufsetzend, das kapitalistische System und Angestelltenverhältnisse ablehnend und diese aber doch ausnützend, um durch das Vortäuschen von Beschäftigt-Sein in der bezahlten Arbeitszeit ihre Bücher schreiben zu können, wie sie im Buch erzählt.
Offen und spritzig erzählt sie mitreißend und sprachlich eloquent aus ihrem Leben einer privilegierten Millenial-Frau (Einzelkind mit grundsätzlich engagierten Eltern, die aus der Arbeiterschicht stammend es zu einigem Wohlstand gebracht haben und es insgesamt gut mit ihr zu meinen scheinen) Anfang 30 auf der Suche nach dem "guten Leben". Das macht das Buch einerseits sehr nahbar, interessant und leicht zu lesen.
Andererseits ist die Autorin keine sehr sympathische Persönlichkeit und hält auch mit den Bewertungen und Abwertungen diverser anderer Menschen aus Social Media, aber auch aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis und ihrer Familie, nicht hinter dem Berg. Scharfzüngig ist sie sehr schnell darin, alles, was nicht ihrer momentanen Lebenssicht entspricht, abzuurteilen.
Zu Gute halte ich ihr, dass sie gelegentlich Momente der Reflexion beschreibt, in denen ihr zumindest in Bezug auf ihre Vergangenheit bewusst wird, dass sie oft bestenfalls ein unvollständiges Bild der Dinge hatte, vieles nicht gesehen hat und Einstellungen und Werthaltungen sich ändern können. Sie hinterfragt sich also durchaus und entwickelt sich dabei weiter, bleibt aber weiterhin sehr meinungsstark und darin oft auch engstirnig bis verurteilend.
Aufgrund des Titels und des Covers könnte man meinen, dass es im Buch hauptsächlich um das Thema der Prämenstruellen Dysphorischen Störung (PMDS) geht. Unter dieser Annahme habe ich auch begonnen, das Buch zu lesen. Tatsächlich geht es im Buch aber eben hauptsächlich nur um den Einzelfall Bianca Jankovska und ihre Sicht der Welt, verbunden mit ihrer persönlichen Leidensgeschichte aufgrund ihrer hormonell beeinflussten Stimmungsschwankungen und ihrer Ablehnung des Kapitalismus und der Leistungsgesellschaft. Die PMDS dient bestenfalls als Rahmen dafür und wird im Anhang anhand eines fachärztlichen Interviews, entnommen aus einem Sachbuch zu dem Thema, kurz erläutert. Außer der Autorin kommen aber keine anderen PMDS-Betroffenen zu Wort.
PMDS dient der Autorin also eher nur als weitere Rechtfertigung dafür, warum sie für ein Angestelltenverhältnis und generell für unsere kapitalistische Welt nicht geschaffen sei. Diverse Zugänge, wie man selbst im Sinne der Selbstwirksamkeit an dem eigenen Wohlbefinden arbeiten könnte und insbesondere Psychotherapie (die die Autorin abseits von Self-Study-Onlinekursen amerikanischer Influencer und einem kurzen Ausflug in eine Selbsthilfegruppe aber vermutlich nie ernsthaft in Anspruch genommen zu haben scheint) lehnt die Autorin als kapitalistisch und "dem Opfer die Schuld gebend" ab, ohne sich näher damit auseinandergesetzt zu haben.
Überhaupt scheint sie eine Opferhaltung und Anschuldigung all der vermeintlichen Täter (von den bösen kapitalistischen Unternehmen über die Tradwives bis zu Momfluencern und diversen Menschen aus ihrem persönlichen Umfeld, die ihr Unrecht getan, sie missverstanden, geblockt, gecancelt oder kritisiert haben... oder die einfach nicht so leben, wie sie es für gut hält, beispielsweise Kinder haben und das auch noch erwähnen) einer ernsthaften Auseinandersetzung mit sich selbst vorzuziehen.
In der Lebensgeschichte der Autorin erleben wir immer wieder unfassbar egoistische Handlungen mit null Empathie für andere Menschen mit, wie die schon erwähnten Vorspielung einer Arbeitstätigkeit, um in Wirklichkeit in der Arbeitszeit ihre Bücher zu schreiben.
Diesen Zugang empfiehlt sie auch anderen unter dem Motto "Kapitalisten ausbeuten"... man müsse sich nur die richtige böse Firma dafür aussuchen, nämlich Firmen die "Bullshit machen. Ihr wisst schon: Consulting-Firmen, IT-Firmen, IT-Consulting-Firmen, Tech-Unternehmen, Projektmanagementjobs für ein Produkt, das niemand braucht, aber trotzdem alle kaufen." (S. 167) und nicht den kleinen Bioladen ums Eck, dann sei es moralisch schon in Ordnung, ja, sogar ein toller Akt des Widerstands gegen den Kapitalismus, diesen die Arbeitstätigkeit nur vorzuspielen und Geld fürs Nichtstun zu kassieren. Und die Firmen und deren HRler seien selbst schuld, ihre Arbeit nicht richtig gemacht und sie als Bewerberin nicht vorab gegoogelt zu haben, denn sonst hätten sie ja über ihre Anti-Work-Einstellung Bescheid gewusst.
Warum also drei Sterne und nicht null für dieses Buch, dessen Autorin mir offensichtlich in vielem unsympathisch ist und die Werte vertritt, die mir in vielem zutiefst zuwider sind und bei dem ich beginne, mich für meine eigene Millenial-Generation und ihre Selbstbezogenheit und ihren Egoismus fremdzuschämen?
Weil das Buch sprachlich wirklich gut geschrieben ist. Weil ich die Autorin dafür respektiere, so offen auch über die eigenen Unzulänglichkeiten und die unsympathischen und selbstbezogenen Seiten ihres Charakters zu erzählen (wer in Zukunft mit ihr zu tun haben will, privat oder beruflich, braucht sie also nur googeln, dieses Buch lesen und weiß, worauf er sich einlässt) und dieser Stil das Buch insgesamt nahbar, unterhaltsam und interessant macht.
Und weil - nicht zu vergessen - in dem Buch, verwoben mit der persönlichen Geschichte der Autorin, viele sehr interessante und scharfsinnig formulierte Ideen durchaus legitimer Kapitalismuskritik vorkommen, z.B. zu Themen wie Privilegien, Diskriminierung, ungleiche Chancen,... dazu, dass die meisten Vermögenden zu ihrem Vermögen durch Erbe und nicht durch eigene Leistung gekommen sind, zur längst überfälligen Arbeitszeitreduktion, zum Zusammenhang zwischen Arbeit und Klimakrise und vieles mehr.
Wenn man sich auf dieses Buch einlassen kann, ohne sich zu sehr über das selbstbezogene Kreisen der Autorin um sich und ihre Themen, ihre Abwertung Andersdenkender und -Fühlender und ihre mangelnde Empathie (obwohl sie sich als ach so mitfühlend beschreibt... aber in ihrem konkreten Handeln zeigt sich jeweils das Gegenteil davon) zu ärgern, dann kann man daraus viele Ideen für Kritik an unserer kapitalistischen Leistungsgesellschaft und den darunter liegenden Konzepten mitnehmen, die interessant sind, um darüber nachzudenken, sie im eigenen Umfeld zu diskutieren und gemeinsam Alternativen zu überlegen.