Historischer Roman von beträchtlichem Format
Die Metternich-Ära, die dem Wiener Kongress folgte, war geprägt von Repressalien, von Zensur und Bespitzelung allenthalben, die dem Ziel dienten, liberale Strömungen, die im Zuge der Französischen Revolution ...
Die Metternich-Ära, die dem Wiener Kongress folgte, war geprägt von Repressalien, von Zensur und Bespitzelung allenthalben, die dem Ziel dienten, liberale Strömungen, die im Zuge der Französischen Revolution mit Macht aufgekommen waren, im Keim zu ersticken. Die gehobenen Schichten der Bevölkerung befürchteten die Vernichtung der alten Werte und damit natürlich, durch die Einführung einer Verfassung und gar Wahlen, eine Beschränkung ihrer Macht und der vielfältigen Privilegien, derer sie teilhaftig wurden. Es musste zudem verhindert werden, dass die Burschenschaften mit ihrem revolutionären Gedankengut, die sich durch den Einfluss des Freigeistes Schiller, den sich die Studenten zum Vorbild genommen hatten, ab 1815 formierten, ausbreiteten.
Und in dieser Epoche, als die Vision einer Verbrüderung der Menschen über politische Grenzen hinaus von so vielen Menschen gehegt wurde, wie niemals zuvor, Beethovens Neunte Symphonie, mit ihrer Ode an die Freude, der Freude nicht etwa am Leben sondern an der Freiheit, die betörend und verlockend und überaus erstrebenswert am Horizont winkte. Musik als befreiendes Ausdrucksmittel! Dementsprechend wurde der Komponist mit äußerstem Misstrauen beäugt und man war, vergebens, wie die Geschichte gezeigt hat, bemüht, die Uraufführung des monumentalen, überaus komplexen Werks, das die Normen der Zeit sprengte, die Gesetze der Harmonie niederriss und die Musik neu erfand, zu verhindern.
Vor diesem Hintergrund hat der Autor Oliver Buslau seinen Kriminalroman angesiedelt, der weit mehr ist als das, nämlich ebenso ein geschichtlicher Roman, dessen Schauplätze historisch exakt, authentisch und anschaulich dargestellt werden, so wie auch viele der handelnden Personen tatsächlich gelebt haben und andere gewissen Vorbildern nachempfunden oder dramaturgisch wirksam verändert wurden. Durchzogen wird das Werk von Beethovens Musik, von seiner gewaltigen Neunten Symphonie, die der Autor auf seine Weise auch dem musikalisch wenig bewanderten Leser nahebringt, sie spür- und erfahrbar macht.
Es ist dies schon ob der Thematik kein leicht zu lesender Roman, er ist sowohl inhaltlich als auch sprachlich anspruchsvoll, er ist detailliert und informativ und, wie man es von einem Kriminalroman erwarten darf, spannend bis zum Schluss. Und er lässt den Leser sich annähern an den Musiker und, soweit es nach zweihundert Jahren möglich ist, genauso an den Menschen Beethoven, den Künstler, der, so unfassbar es auch ist, erst durch seine fortschreitende bis schließlich gänzliche Taubheit, über deren Ursachen bis heute spekuliert wird, zu kompositorischen Höhen, direkt in den Olymp, gefunden hat.
Im Roman wird die Meinung vertreten, zu der auch der – fiktive – Protagonist Sebastian Reiser gelangt, dass die Musik des Meisters vielleicht deshalb so grandios ist, weil gerade wegen seiner Taubheit alle äußeren Einflüsse ausgeschaltet werden und ihn auf diese Weise nicht davon ablenkte, die reine Musik zu erspüren und ihr Ausdruck zu verleihen.
Besagter Sebastian Reiser lernt Beethoven, den Mann mit dem Löwenkopf, kurz vor der Uraufführung der „Neunten“ in Wien in persona kennen. Notgedrungen befindet er sich hier, ist zum einen auf der Suche nach einer Anstellung, nachdem er die seine als angehender Gutsverwalter des bei einem Unglück ums Leben gekommenen, ihm wohlgesonnenen Förderers, des Edlen von Sonnberg, verloren hat, und zum anderen, weil er im Nachlass seines gemeinsam mit dem Edlen verunglückten Vaters ein Notizfragment gefunden hat, das ihn verstört, weil es andeutet, dass sein Vater und mit ihm ein gewisser Doktor Scheiderbauer aus Wien in irgendein Geheimnis verwickelt waren, das Meister Beethoven höchstpersönlich betraf. In Wien möchte er der Sache auf den Grund gehen, was ihn sehr bald schon in eine sehr gefährliche Situation bringt, je weiter er sich in seine Nachforschungen verstrickt, durch die er leider auch ins Visier eines gewissen Hänsel gerät, der ein ehemaliger Kommilitone aus seiner Wiener Studienzeit war und an den er sich, weil dieser in der Staatskanzlei des Fürsten Metternich einen verantwortungsvollen Posten bekleidet, auf seiner Suche nach einer Festanstellung auf den Rat des ihm offensichtlich wohlgesonnenen Barons von Walseregg wendet, der ihn nach der Beerdigung von Sonnberg nach Wien gebracht hat.
Hänsel aber ist, so findet Reiser alsbald heraus, ein gefährlicher Mann, der ihn, gespeist durch Falschinformationen einer bis gegen Ende des Romans unbekannten Person, dem eigentlichen Drahtzieher des Komplotts, das Reiser im Begriff ist aufzudecken, in der Hand hat und so dazu bringt, als Konfident zu arbeiten, was nichts anderes als Spitzel bedeutet.
Während Reiser den kryptischen Zeilen seines Vaters Sinn geben möchte, kreuzt auch ein gewisser Theodor Kreutz seinen Weg, seines Zeichens Student und fanatischer Burschenschaftsanhänger, der sich unter falschem Namen nach Wien geschmuggelt hat und dort unbedingt ganz im Sinne der Revolution tätig werden möchte. Ein zwielichtiger Geselle ist er, der sich danach sehnt, seine aufrührerischen Ideen in die Tat umzusetzen und unbedingt an vorderster Front bei einem, so glaubt er fest, geplanten Anschlag auf die Herrschenden dabei sein möchte. Durch das Subjekt Kreutz lernt der Leser eine gewisse Gruppierung kennen, die „Unsichtbaren“, die den Freiheitsgedanken auf ihre eigene Weise umsetzen möchten, nämlich durch die bereits erwähnte Macht der Musik. Und während von allen Seiten Kräfte am Werk sind, die ihre jeweils eigenen Spiele spielen und Ziele verfolgen, nähert sich der Tag der Uraufführung von Beethovens „Neunter“ unaufhaltsam! Der musikalische Reiser soll auf Drängen seines alten Geigenlehrers Piringer als Bratschist dabei sein, eine ganz besondere Ehre, von der er fünfzig Jahre später seinem Enkel Franz, einem begabten Musikstudenten, der in der Rahmenhandlung auftaucht, in die der Roman gebettet ist, erzählen wird. Und während der Premiere kommt es schließlich zum großen Finale! Sebastian Reiser – und mit ihm der Leser - erhält Antworten auf die Fragen, die ihn umgetrieben haben – und klärt nicht nur das perfide Komplott auf, das seinem Dienstherrn Sonnberg und seinem Vater das Leben gekostet und ihn um ein Haar ins Gefängnis oder an einen noch schlimmeren Ort gebracht hätte, sondern spielt auch noch eine wichtige Rolle bei der Verhinderung eines Anschlags, der vielen Menschen das Leben gekostet hätte....
Und wenn sich der inzwischen alte Reiser am Ende des fulminanten, ganz und gar makellosen Romans fragt, ob denn Beethovens „Neunte“ mit ihrer tiefempfundenen „Ode an die Freude“, die auf den berühmten Dichterfürsten aus dem Sturm und Drang zurückgeht, etwas bewirkt hat, kommt er zu dem Schluss, dass dem eher nicht so ist. Wenn überhaupt, so hat sie vielleicht aber dazu beigetragen, dass die Hoffnung auf Freiheit, darauf, dass alle Menschen Brüder werden, eines fernen Tages, niemals stirbt. Die Hoffnung, sie ist ein Traum, so denkt er, und ein Traum ist ja auch nur wieder eine Illusion... Wie recht er damit hat!