"Huckleberry Finn" wird zum Roman der Freiheit – in "James" erfindet Percival Everett den Klassiker der amerikanischen Literatur neu. National Book Award 2024
Jim spielt den Dummen. Es wäre zu gefährlich, wenn die Weißen wüssten, wie intelligent und gebildet er ist. Als man ihn nach New Orleans verkaufen will, flieht er mit Huck gen Norden in die Freiheit. Auf dem Mississippi jagt ein Abenteuer das nächste: Stürme, Überschwemmungen, Begegnungen mit Betrügern und Blackface-Sängern. Immer wieder muss Jim mit seiner schwarzen Identität jonglieren, um sich und seinen jugendlichen Freund zu retten. Percival Everetts „James“ ist einer der maßgeblichen Romane unserer Zeit, eine unerhörte Provokation, die an die Grundfesten des amerikanischen Mythos rührt. Ein auf den Kopf gestellter Klassiker, der uns aufrüttelt und fragt: Wie lesen wir heute? Fesselnd, komisch, subversiv.
Ich bin ohne große Erwartungen an den Roman "James" von Percival Everett herangegangen. Ich habe "Die Abenteuer des Huckleberry Finn" von Mark Twain nie gelesen und kannte die ursprüngliche Geschichte ...
Ich bin ohne große Erwartungen an den Roman "James" von Percival Everett herangegangen. Ich habe "Die Abenteuer des Huckleberry Finn" von Mark Twain nie gelesen und kannte die ursprüngliche Geschichte daher nur grob. Außerdem bin ich eher skeptisch, wenn es um Neuerzählungen von Klassikern geht. Dennoch hat mich der Roman neugierig gemacht - zum Glück! Denn: "James" ist ein Highlight sowie ein absolutes Meisterwerk!
Zwar habe ich Anfangs etwas gebraucht, um in die Geschichte und insbesondere in die "Sklavensprache" zu finden (hier ein großes Lob an den Übersetzer Nikolaus Stingl!), aber dann traf mich die Geschichte mit voller Wucht.
Im Klappentext heißt es, dass die Geschichte u.a. "komisch" sei. Sprechen wir hier von dem selben Roman? Ich habe unsagbar viele Emotionen während des Lesens gespürt, aber nichts hatte nur annähend etwas mit Humor zu tun. James' Geschichte ist fesselnd, sie erschüttert und ich war während der gut 300 Seiten regelrecht angespannt, weil ich auf ein gutes Ende für James und seine Familie gehofft habe. Die US-amerikanische Zeit der Sklaverei aus dem direkten Blickwinkel eines Sklaven zu lesen, hat mich tief berührt. Everett hat es geschafft, dass ich durchweg James' Angst, Wut und Verzweiflung spüren konnte und ich zum Ende eine Gänsehaut hatte.
Der Roman wird mich noch lange bewegen und mich fragen lassen, was Menschen anderen Menschen antun können.
„James“ ist ein Buch, dass in sehr intelligenter und kreativer Weise in den Streit um Cancel Culture, Vogueness und politische Korrektness eingreift. Der amerikanische Romancier Percival Everett, ist Jahrgang ...
„James“ ist ein Buch, dass in sehr intelligenter und kreativer Weise in den Streit um Cancel Culture, Vogueness und politische Korrektness eingreift. Der amerikanische Romancier Percival Everett, ist Jahrgang 1956 und wurde schon etwas bekannt letztes Jahr mit seinem Roman „Die Bäume“.
Mit „James“ wagt er sich an eine Überschreibung eines der ganz großen Werke der US-Amerikanischen Literatur, nämlich an den Roman von Mark Twain „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“. Aber dieser Roman, heute gelesen, ist gar nicht unproblematisch.
Everett eröffnet uns einen neuen Blickwinkel auf die Geschichte, nämlich den, aus der Sicht des Sklaven Jim. Dieser Roman ist eine einzige große Sprachfantasie - Everett entwickelt diese Idee, dass dieses gesprochene Englisch nur eine Sprache ist für die dummen Weißen. Tatsächlich unterhalten sich die Schwarzen über Feinheiten zwischen proleptischer und tragischer Ironie oder ergehen sich in Träumereien in Gesprächen über Voltaire. Andererseits, das ist jetzt so verkopft, aber das ist auch ein handfester Actionroman, es hat mich ein bisschen erinnert an Quentin Tarantinos „Django Unchained“. Weil dieser James, der eben nicht Jim heißt sondern James, seine Familie beschreibt, die Abenteuer auf dem Mississippi erlebt, einen blutigen Rachefeldzug gegen den Richter, seinen Sklavenhalter unternimmt. Es ist eine Überschreibung eines Romans, aber es ist eben nicht ein Teil der Cancel Culture, sondern als Kontrafaktur eine eigene Geschichte gegen ein Werk, eigentlich die schönste Werbung für Mark Twain, die man sich vorstellen kann. Auch in der deutschen Übersetzung von Nikolaus Stingl, die mir hier überaus gelungen erscheint.
Sprache wird hier als ein strategisches Instrument verwendet, so wie im Tierreich manche Tiere ein bestimmtes Gefieder aufmachen, um zu täuschen. So sprechen die Schwarzen in diesem gebrochenen Englisch, um den Weißen vorzuführen, dass sie dumm und harmlos sind. Untereinander können sie aber im gestochensten Englisch sprechen, um nämlich ihre Gegenstrategie zu entwickeln. Es ist die Idee eines Empowerments, nämlich in dieser Geheimsprache eines vollausgebildeten Englisch, können die Schwarzen untereinander sich so verständigen, dass sie zu Gegenstrategien in der Lage sind. Das ist erzählerisch kein Gegenentwurf zu Mark Twain. Ich liebe, wie er aus Jim diesen James gemacht hat, nämlich ein voll souveränes Subjekt, dass die Handlung vorantreibt und mehr weiß als der junge Huck, für den er immer mitdenkt. Daraus ist gleichzeitig eingebettet, wie wir es von Mark Twain kennen, diese herrliche Mississippi Landschaft, die aber natürlich auch gleichzeitig eine Bedrohungslandschaft ist, nämlich als Schwarzer auf der Flucht, muss er natürlich in ganz anderer Weise um sein Leben bangen. Und die Natur dient gleichzeitig auch als Rückzugsort mit dem großen Mississippi als Grenze zum Norden, wo die Freiheit ihn erwartet.
Es gibt in der Literatur des 19. Jahrhunderts einen großen utopischen Moment, den „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ markiert. Das sind eben die Szenen von Huck und Finn auf dem Floß. Wo plötzlich ein friedliches Zusammenleben von Schwarz und Weiß möglich scheint, wo eben in der Literatur zumindest, diese Rassenschranken überwunden werden. Das greift Percival Everett in diesem Roman sehr kunstvoll auf.
Es ist nicht nur eine Verbeugung vor, sondern auch eine Kritik an Mark Twain und auch an denjenigen, die sich für liberal und aufklärerisch halten und es eigentlich nicht sind. Das kann man z.B. daran sehen, dass Jim hier in diesem Roman James heißt, dass heißt er gibt sich selbst seinen Namen. Und in dem Roman geht es auch darum, dass James darüber nachdenkt, dass die Weißen eben immer das Bestreben haben zu Benennen und zu Beurteilen, selbst in ihrer Selbstkritik wollen sie die Fäden in der Hand behalten. Und das macht Mark Twain ja, er erzählt diese Geschichte. Ganz wesentlich ist in diesem Buch, dass es um das Aufschreiben der eigenen Geschichte geht. Da spielt ein Bleistift eine Rolle, den James bei seiner Flucht sich organisieren lässt von einem anderen versklavten Mann. Und dieser Mann wird dafür ausgepeitscht und getötet, ermordet. Und der Bleistift hat eine enorme Aufladung und Bedeutung. Und die eigene Geschichte aufzuschreiben hat eine enorme Bedeutung. Und es war kein Schwarzer, der Huckleberry Finn geschrieben hat, sondern es war ein Weißer: Mark Twain. Ich glaube, das ist auf sehr kluge Weise immer wieder in diesen Text eingewebt, dass es auch eine handfeste Kritik ist. Es taucht z.B auch immer wieder in der Figur von Huck der Satz auf: „Daran hab ich gar nicht gedacht, dass ich dir Schaden könnte, mit dem was ich tue.“ Und diese Art von Gedankenlosigkeit, die ich von mir selbst auch kenne, das ist etwas was er hier kritisch erzählt. Kritisch in einem sehr produktiven, offenen, durchaus liebenden Verhältnis auch zu Mark Twain. Hier erfolgt kein Vorwurf, dass Mark Twain ein Weißer war. Damit „James“ geschrieben werden konnte, musste es vorher die Mark Twainsche Geschichte geben. Es ist eine produktive Intertextualität.
Wir sollten auch das Motto bedenken, mit dem Mark Twain seine Geschichte beginnt: „Wer in dieser Geschichte ein Motiv sucht wird des Landes verwiesen. Wer eine Handlung sucht, wird mit Geldstrafe belegt und wer eine Moral in dieser Geschichte zu finden versucht, wird erschossen.“ So beginnt Mark Twains Roman.
Ich wünschte mir heute diese Art von Gedankenfreiheit in der Literatur und nicht dieses Rechthaberische.
„James“ ist sicherlich eine Kritik an den Weißen schlechthin, an Mark Twain, aber es ist Gottseidank eine produktive Fortschreibung.
Ich bin eine große Freundin von Literatur, die böse sein kann, die verletzend sein kann, die aufs Blut reitzt und nicht in einer Jugendbuchversion die jeweiligen Befindlichkeiten tätschelt. Ich möchte Bücher haben, die stechen, die verletzen und uns reizen. Das hat Mark Twain geschafft und Percival Everett führt es äußerst gelungen fort.
Der Sklave Jim lebt mit Frau und Tochter als Eigentum der Witwe Watson auf deren Farm. Als sie beschließt, ihn weiterzuverkaufen, flieht er. Sein Plan ist es, an Geld zu kommen und seine Frau und Tochter ...
Der Sklave Jim lebt mit Frau und Tochter als Eigentum der Witwe Watson auf deren Farm. Als sie beschließt, ihn weiterzuverkaufen, flieht er. Sein Plan ist es, an Geld zu kommen und seine Frau und Tochter freizukaufen. Ein wahnwitziger Plan im Süden der Vereinigten Staaten in den 1860er-Jahren, wo schwarze Jungs gelyncht werden, nur weil sie es gewagt haben, zu einem weißen Mädchen „hallo“ zu sagen.
Jim ist ein Meister darin zu verbergen, wie intelligent er ist. Er kann lesen und schreiben und außerdem reden wie die Weißen, doch da sich diese gern überlegen fühlen, reden Sklaven allesamt Südstaatenenglisch mit fehlerhafter Grammatik. Nur wenn sie unter sich sind, reden sie normal, sie sind sozusagen zweisprachig. Dieser ins Deutsche übersetzte Südstaatenslang hat mich zu Beginn sehr gestört, doch man gewöhnt sich daran und der Übersetzer Nikolaus Stingl hat diese schwierige Aufgabe, einen künstlichen Dialekt zu erschaffen, sehr gut gelöst.
Percival Everett hat mit „James“ Mark Twains Geschichte von Tom Sawyer und Huckleberry Finn fortgeschrieben, allerdings aus der Sicht des Sklaven Jim. Wir erleben die grausame Welt der Sklaverei, in der Sklaven schlechter gehalten werden als Tiere, sie gelten nicht als menschliche Wesen und grausame Foltermethoden werden damit gerechtfertigt, dass Sklaven ohnehin keinen Schmerz empfinden.
Der weiße Junge Huck, der von seinem Vater misshandelt wird, schließt sich Jim auf dessen Flucht an und gemeinsam erleben sie Naturkatastrophen und lebensgefährliche Abenteuer. Sie treffen Betrüger und Menschenschinder, Vergewaltiger und geschundene, gebrochene Sklaven. Zu wissen, dass sich das Leben von Sklaven damals tatsächlich so oder ähnlich abgespielt hat, ist herzzerreißend. Man bangt mit Jim und Huck und manchem Weggefährten und anderen wünscht man, er möge in der Hölle schmoren. Ich habe schon lange bei keinem Buch mehr so mitgefiebert bis zur letzten Seite.
Ich bin immer äußerst skeptisch, wenn ein Roman als „Meisterwerk“ angepriesen wird, doch dieses Mal bin ich ganz dieser Meinung. Ein intelligentes, spannendes und außergewöhnliches Buch, das zuweilen auch sehr komisch ist. Das beste Buch, das ich in diesem Jahr bisher gelesen habe!
In letzter Zeit häufen sich ja die Adaptionen großer Werke aus der Weltliteratur, was nicht immer gelungen ist, wie ich festgestellt habe. Everett hat sich hier an einen Klassiker von Twain gewagt und ...
In letzter Zeit häufen sich ja die Adaptionen großer Werke aus der Weltliteratur, was nicht immer gelungen ist, wie ich festgestellt habe. Everett hat sich hier an einen Klassiker von Twain gewagt und dekonstruierte »Die Abenteuer des Huckleberry Finn« aus dem Jahr 1884, indem er die Flucht des Sklaven Jim nun aus dessen Perspektive erzählt. Ob es für mich diesmal funktioniert hat?
Zum Inhalt sei nur so viel gesagt: James flieht aus Hannibal, als er erfährt, dass er verkauft werden soll. Er sieht darin seine einzige Chance, um seine Familie nicht zu verlieren. Wie auch bei Twain ist Huck auf der Flucht vor seinem gewalttätigen Vater und begleitet James auf einigen Abschnitten der abenteuerlichen Reise auf dem Mississippi. Allerdings sucht man nun nach ihm nicht nur als »Entlaufenen« sondern auch als Mörder von Huck.
Doch aus dem ungebildeten, naiven Jim Twains macht Everett eine Figur, die aus ihrer Opferrolle heraustritt und nicht mehr auf die Gnade der Weißen angewiesen ist. Everett nutzt dazu das Stilmittel der Sprache, nicht nur indem er James vor den Weißen in einer Art Slang, einem Südstaatenenglisch sprechen lässt, damit diese den Eindruck bekommen, er sei ungebildet. Diesen Slang ins Deutsche zu übertragen war sicher eine Herausforderung, doch der Übersetzer Nikolaus Stingl hat hier ganze Arbeit geleistet, um die Authentizität zu erhalten. James muss seine Tarnung aufrechterhalten, genauso wie alle anderen. Denn Sklaven war es verboten, lesen und schreiben zu lernen.
»Jim, ich frag dich jetzt was. Warst du in Richter Thatchers Bibliothekszimmer?«
»In seim was?«
»Seiner Bibliothek.«
»Nein, Ma’am. Gesehen habbich die Bücher, aber im Zimmer drin warch nich. … Was sollchn mim Buch?« S.15
Vielleicht mag es übertrieben erscheinen, dass James Rousseau und Locke gelesen hat, es finden sich einige philosophische Aussagen und Fragen in dem Buch, die nachdenklich stimmen. Doch das verleiht der vorherrschenden Denkweise der Weißen, sich überlegen zu fühlen, eine gewisse Ironie. James kehrt es um, indem er denkt:
»Es lohnt sich immer, Weißen zu geben, was sie wollen …« S.11
Denn das gibt den Schwarzen ein Mindestmaß an Sicherheit, auch wenn sie ihren unbegründeten Misshandlungen, Auspeitschungen und sexuellen Übergriffen schutzlos ausgeliefert sind. Und es entlarvt gleichzeitig die vorherrschende Überlegenheitstheorie der Sklavenhalter.
Was Sprache in dem Roman alles kann, solltet ihr selbst herausfinden, für mich ist es ein zentrales Thema, um das sich zahlreiche erschreckende Abenteuer ranken. Zum Beispiel ein gestohlener Bleistift, den James nutzen will, um seine Geschichte aufzuschreiben, für den ein anderer aber mit dem Leben bezahlt. Auch ein Grundgedanke – Bildung als Waffe.
In kurzen, temporeichen Kapiteln jagen wir den Mississippi rauf und runter, treffen dabei auf manch skurrile Gestalten, Trickbetrüger, Gauner und Sklavenhalter der übelsten Sorte, wodurch Everett dem Abenteuercharakter des Originals gerecht wird. Zwar verkürzt er etliche Ereignisse, was aber für das Gesamtverständnis des Romans nicht von Belang ist. Trotz aller Ironie, die sich oft hinter einigen Begegnungen versteckt, ist Everett on point, wenn es um die Darstellung von rassistischen Themen geht. Das geht stellenweise echt unter die Haut.
»Was ich verbrochen habe? Ich bin ein Sklave. Ich habe eingeatmet, als ich hätte ausatmen sollen. Was ich verbrochen habe?« S.234
Immer wieder wird Twain unterstellt, er sei ein Rassist gewesen, andere halten ihn für einen Chronisten seiner Zeit. Wiederholt fielen zahlreiche Passagen der Zensur zum Opfer, auch streitet man sich über das N-Wort in seinen Romanen und eine etwaige Bereinigung. Doch zeitkritische Literatur braucht m.E. auch eine authentische Sprache, egal, ob es heute einigen gefällt oder nicht. Auch Everett bleibt dabei, was zur Verdeutlichung der Brutalität von Sprache dient und mich einige Male heftig schlucken ließ. Das nur btw.
Für mich ist »James« eine Weiterführung der twainschen Grundidee. Eine Hommage an Twain, eine kritische Auseinandersetzung mit dem Rassismus, der heute noch tief verwurzelt ist. Radikal und scharfzüngig mit viel Humor, absolut lesenswert.
»Es ist eine schreckliche Welt. Die Weißen versuchen, uns einzureden, dass alles gut sein wird, wenn wir in den Himmel kommen. Meine Frage ist: Werden sie dann auch dort sein? Wenn ja, sehe ich mich vielleicht nach etwas anderem um.« S.162
»Ein Mann, der sich weigert, Sklaven zu besitzen, jedoch nicht dagegen war, dass andere welche besaßen, war in meinen Augen immer noch ein Sklavenhalter.« S.189
»Wenn man die Hölle als Heimat kennt, ist die Rückkehr in die Hölle dann eine Heimkehr?« S.293
Die Abenteuer Huckleberry Finn aus der Feder von Mark Twain dürften den meisten Leser:innen ein Begriff sein. Percival Everett hat sich in „James“ der Geschichte noch einmal angenommen und ...
Worum geht’s?
Die Abenteuer Huckleberry Finn aus der Feder von Mark Twain dürften den meisten Leser:innen ein Begriff sein. Percival Everett hat sich in „James“ der Geschichte noch einmal angenommen und sie aus einem neuen Blickwinkel erzählt, nämlich aus der Perspektive des Sklaven Jim.
Jim spielt den Dummen, damit die Weißen nicht merken, wie schlau er ist. Er gibt sogar den Kindern der übrigen Sklaven Sprachunterricht, um ihnen beizubringen, dass es immer die Weißen sein müssen, die ein Problem benennen und lösen. Als Jim eines Tages erfährt, dass er verkauft werden soll, flieht er mit Huck den Mississippi hinunter, immer das ultimative Ziel vor Augen: es in einen freien Staat zu schaffen, Geld zu verdienen und seine Familie freizukaufen. Die Reise wird zu einem wilden Roadtrip, auf dem die beiden die verschiedensten Abenteuer erleben, vom Schlangenbiss bis hin zu Menschen, die Jim ausnutzen und an einen neuen Besitzer verkaufen wollen, ist alles dabei. Und wie damals im Jugendbuch darf auch bei dieser Version der Geschichte das Happy End nicht fehlen.
Wie war’s?
Ich persönlich war sehr begeistert von James. Das Buch ist so brillant geschrieben, dass man es kaum aus der Hand legen mag. Teilweise urkomisch, teilweise aber auch richtig tragisch. Der Sklave Jim als Protagonist macht eine beeindruckende Entwicklung durch, während er anfangs sein Licht stets unter den Scheffel stellt, damit bloß niemand merkt, wie blitzgescheit er eigentlich ist („In Wahrheit scheute ich mich davor, wieder einzuschlafen, aus Angst, Huck würde zurückkommen und meine Gedanken hören, ohne dass sie meinen Sklavenfilter durchliefen“ S. 58), tritt er am Ende so stolz und selbstbewusst auf, wie ein freier Mann es nur sein kann („Ich bin der Todesengel, der gekommen ist, um bei Nacht süße Gerechtigkeit zu üben“, sagte ich. „Ich bin ein Zeichen. Ich bin deine Zukunft. Ich bin James.“ S. 329).
Als Literaturübersetzerin interessiere ich mich natürlich auch immer besonders für die Qualität der Übersetzung und muss hier dem Kollegen Nikolaus Stingl wirklich ein großes Kompliment machen. Er hat es geschafft, Jims sogenannten „Sklavenfilter“ sehr authentisch ins Deutsche zu übertragen, Chapeau!
Fazit:
Mich hat James wirklich beeindruckt und das Buch hat das Potenzial, es in die Top 3 meiner Lieblingsbücher zu schaffen. Außerdem eine wunderbare Hommage an das Lesen, die ich von Herzen nachvollziehen kann. Ich habe das Buch in einer für mich persönlich sehr schwierigen Zeit gelesen und konnte ebenso darin eintauchen wie James in diesem Zitat, mit dem ich diese Rezension beenden möchte:
Ich vergewisserte mich, dass Huck immer noch tief und fest schlief, dann schlug ich das Buch auf. Der Geruch der Seiten war herrlich.
Es lebte einst in Westfalen…
Ich war woanders. Ich war weder auf der einen noch auf der anderen Seite dieses verdammten Flusses. Ich war nicht auf dem Mississippi. Ich war nicht in Missouri.