Atemlose Coming of Age Geschichte
Von wegen, mit 16 Jahren ist das Leben so herrlich. Paola jedenfalls ist mit sich und der Welt nicht im Reinen, dabei hat die Protagonistin in Raffaela Romangnolos Coming of Age-Roman "Dieses ganze Leben" ...
Von wegen, mit 16 Jahren ist das Leben so herrlich. Paola jedenfalls ist mit sich und der Welt nicht im Reinen, dabei hat die Protagonistin in Raffaela Romangnolos Coming of Age-Roman "Dieses ganze Leben" zumindest materiell alles, was andere sich so wünschen. Die Unternehmertochter wohnt in einer Villa mit Pool, stets gibt es das neuest Tablet- und Handymodell. Aber abgesehen davon, dass die gefühlte emotionale Abwesenheit der Eltern die besten Voraussetzungen für Wohlstandsverwahrlosung bietet, kann Paola weder sich selbst akzeptieren, noch hat sie das Gefühl, von anderen jemals akzeptiert oder gar geliebt werden zu können: Zu groß, zu dickt, schlechter Teint, in der Schule gemobbt.
Das Mädchen, dass sich gerne in die Welt seiner Bücher flüchtet scheint auch zu Hause ganz im Schatten ihres jüngeren Bruders Ricchi zu stehen. Der ist schwerbehindert, seine Pflege, Therapie usw stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit, die Mutter scheint Paola nur mit Diät und Fitness-tipps zu beachten. Dass sowohl die Mutter als auch die Oma überaus attraktiv sind, macht das Heranwachsen für Paola nicht gerade leichter.
Der einzige, bei dem sie sich verstanden fühlt, ist Antonio, in der Schule ein paar Klassen über ihr und buchstäblich "from the wrong side of the tracks", wohnt er doch in einer Sozialsiedlung, die die Baufirma von Paolas Familie gebaut hat. Diese Siedlung unweit der Villa auf der "schlechten" Seite der Straße ist Paolas Mutter verhasst - ein Grund mehr für Paola und Ricchi, dort abzuhängen, wenn sie angeblich Richtung Golfklub spazieren. Zu ihrem heimlichen Protestverhalten gehört auch, sich auf der Tankstelle mit Junkfood zu versorgen.
Das könnte nun leicht in Richtung Teenager-Kitschromanze gehen, aber zum Glück findet die Autorin einen ganz anderen Dreh, wenn Paola in ihrem aufgeregten, hastigen innerem Monolog über sich, das Leben und das Schweigen in der Familie reflektiert. An ihre imaginäre Freundin Carmen gewandt lässt sie den Frust ihres Alltags ab, die Wut über die vielen unbeantworteten Fragen. Denn die heile Welt in der Villa bekommt Risse: Carabinieri stehen vor der Tür, der Vater schreddert Dokumente. Immer drängender stellt Paola Fragen, will sich mit dem Schweigen nicht abfinden.
"Alle glücklichen Familien ähneln einander. jede unglückliche Familie ist auf ihre Art unglücklich, und unsere Art ist das Schweigen", paraphrasiert sie einmal "Anna Karenina". Es ist, so könnte man sagen, ein buchstäblich vergiftetes Schweigen, und erst, als es gebrochen wird, ist das nicht nur ein Befreiungsschlag für Paola, sondern für alle Frauen der Familie mit ihren verborgenen Geheimnissen, ihren alten Narben und verdrängten Sehnsüchtigen. So sprunghaft die Gedankenwelt Paolas in den ersten Kapiteln ist, so reift sie an den Herausforderungen. Das Leben mit 16 mag ganz schön kompliziert sein, doch am Ende ist nicht nur Paola ein ganzes Stück erwachsener geworden. Ein Buch voller Atemlosigkeit, das den Gefühlswirrwarr, die Emotionalität und Unbedingtheit junger Menschen auch den älter gewordenen Lesern wieder in Erinnerung ruft.