Entweder man findet es großartig oder man kann damit nicht viel anfangen. Das ist zumindest mein Empfinden, wenn ich durch die Rezensionen für „Liebes Kind“ scrolle. Ich möchte mit meiner Bewertung jedoch jedem interessierten Leser mitteilen, dass es sich definitiv lohnt, herauszufinden zu welcher Gruppe man gehört. Denn sollte man zu denen zählen, die es fantastisch fanden, wird man dieses Buch so schnell nicht vergessen.
„Liebes Kind“ ist das 432 Seiten umfassende Thriller-Debüt von der Autorin Romy Hausmann. Ihr Debüt hat einen unfassbar tollen Start hingelegt. Nach einem Einstieg unterhalb der Top Ten landete es direkt auf Platz 2, verweilte dort und ergatterte sich in einer Woche sogar Platz 1. Und ja, man muss es erwähnen: Mittlerweile existiert ein riesiger Hype um dieses Buch – und es ist immer noch in den Top 3 der Belletristik-Paperbacks!
Ich habe das Buch einige Zeit vor Erscheinungstermin bereits auf meiner Wunschliste notiert und es auch direkt vorbestellt. Es gibt Bücher, die möchte ich einfach direkt lesen. Dieses hier gehörte aufgrund des Klappentextes und des außergewöhnlichen Covers definitiv dazu. Prägnant und doch irgendwie schlicht, wirkt es sehr geheimnisvoll – genau wie der Klappentext. Der überall auftauchende Vergleich „Dieser Thriller beginnt, wo andere enden.“ ist dabei nicht nur treffend, sondern für mich ein Kaufargument, denn wie viele Thriller dieser Art kennt man schon?
Zum Inhalt von „Liebes Kind“ möchte ich definitiv nichts sagen. Überall würden Spoiler lauern und ich möchte doch niemandem den Lesegenuss nehmen. Ich verrate nur, dass für mich viele Wendungen und Überraschungen zu finden waren, die dieses Buch zu einem wahren Pageturner machen konnten. Allein die ersten Sätze lassen jedem Leser das Blut in den Adern gefrieren (oder zumindest den Mund offen stehen). „Am ersten Tag verliere ich mein Zeitgefühl, meine Würde und einen Backenzahn. Dafür habe ich jetzt zwei Kinder und eine Katze. Ihre Namen habe ich vergessen, bis auf den der Katze, Fräulein Tinky.“ Ich dachte mir nur: „Wie bitte?!“, und las es noch einmal. Genau solche Bücher braucht es im Thriller-Einheitsbrei.
Die Geschichte wird aus mehreren Ich-Perspektiven erzählt. Es sprechen abwechselnd das Entführungsopfer, der Vater der vermissten Lena Beck und das Mädchen aus der Hütte, Hannah. Neben diesen Kapiteln finden sich jedoch auch Zeitungsartikel, die über die Vermisste berichten. Das hat mir persönlich sehr gut gefallen. Es lockerte aber nicht auf. Es brachte die ganze Geschichte noch mehr an die Realität und machte mich noch ergriffener.
Ohne zu viel vom Inhalt zu verraten, möchte ich nun doch noch kurz auf die Figuren eingehen. Beginnend mit dem Vater von Lena: Matthias Beck. Er war für mich eine der schwierigsten Figuren in diesem Buch. Seine Kapitel zu lesen, war oft „unbequem“. Ich empfand Mitgefühl. Der Verlust seiner Tochter, seines Sonnenscheins, hat ihn gebrochen. Leider war Matthias Beck auch eine ziemliche impulsiv reagierende Figur. Oft machte er es mit seinen Versuchen, etwas zu unternehmen, noch schlimmer. Oft wollte ich ihn schütteln und ihn zur Vernunft bringen.
Noch ergreifender waren dann die Kapitel aus Sicht des Entführungsopfers. Romy Hausmann schilderte hier teils sehr eindringlich und ungeschönt die Ankunft und den Alltag in der Hütte. Ich bin fast schon froh, dass es nur teilweise um die tatsächlichen Ereignisse in der Hütte ging. Was dort geschah, hat mir den Atem stocken lassen. Wirklich. Ich saß echt da (auf der Couch in Sicherheit) und hielt die Luft an. Ich lese viele Thriller. Aber wie hier die Regeln im Zusammenleben beschrieben wurden, das hat mich wirklich getroffen. Es war so, als stand ich tatenlos daneben und sah was dieses Monster der jungen Frau antat. Es war hart.
Die letzte Perspektive, die es gab, kam aus Sicht von Hannah. Sie war mir die liebste aller Figuren. Sie war so kindlich, aber auch so anders, so unheimlich. Ja, obwohl sie ein Kind war, war sie echt gruselig. Das Leben in der Hütte prägte sie und ihr Vater hat sie geformt. Ich war mir nie sicher, ob Hannah nicht mehr wusste, ob Hannah ein Ziel verfolgt, ob Hannah wirklich ein liebes Kind ist. Das machte diese Kapitel für mich jedes Mal zu einem Highlight!
„Liebes Kind“ zeichnet sich dadurch aus, das es anders ist. Nicht nur der Aufbau des Buchs, auch die Sprache. Alles fühlte sich so echt an. Ich fand es famos, wie Romy Hausmann schreibt. Die teils kurzen prägnanten Sätze. Die Wiederholungen. Die Wikipedia-ähnlichen Definitionen von Hannah. Die Bildgewalt der Wörter. Die Autorin hat sich direkt in mein thriller-liebendes Leserherz geschlichen und wird dort so schnell nicht mehr herausfinden. Also egal, was ihr bisher über das Buch gehört habt, macht euch selber ein Bild! „Liebes Kind“ hat es verdient! Von mir gibt es volle Punktzahl!