Über Geheimnisse, Vergebung und Loslassen.
Habt ihr euch mal gefragt, wie es der Familie eines Moerders (er)geht? Nein?
„Even if I fall“ beschäftigt sich mit dieser sensiblen, selten gestellten Frage, mit einer Situation zwischen Abscheu und Liebe.
Es ...
Habt ihr euch mal gefragt, wie es der Familie eines Moerders (er)geht? Nein?
„Even if I fall“ beschäftigt sich mit dieser sensiblen, selten gestellten Frage, mit einer Situation zwischen Abscheu und Liebe.
Es war dieser eine Tag, im letzten Jahr, der die Realitäten zweier Familien von einem auf den anderen Augenblick für immer veränderte … Jener, an dem Jason seinem besten Freund das Leben nahm. Seit er geständig und in Handschellen hinter Gittern wanderte, ist es, als wären auch seine Eltern und Geschwister verurteilt worden. Brookes zu Hause, erfüllt von lautem Schweigen, stechender Ignoranz und bitteren Tränen. Die vielen Fragen nach dem „Warum?“ haben die junge Frau keinen Moment losgelassen – ebenso wenig wie das Gefühl, selbst schuldig zu sein. Eine Schuld, die die BewohnerInnen von Telford schüren. Mit Mobbing, Ausgrenzung, Anfeindung …
Abigail Johnson konzipierte eine rührende Geschichte, die sich untypischerweise auf Umstände, Empfindungen und den Zwiespalt von Angehörigen eines Schwerverbrechers fokussiert. Neben den Problemen, die in den eigenen vier Wänden Einzug hielten, den individuellen Versuchen, mit den Geschehnissen umzugehen, spricht die Autorin auch Vorverurteilung, Schubladendenken und Sensationsgier sowie die Erwartungen Außenstehender und (Cyber)Mobbing an.
Erzählt wird aus Brookes Perspektive. Von FreundInnen verraten und isoliert, von Blicken und Alpträumen verfolgt. Seit letzten Sommer muss sie hilflos mit ansehen, wie sich ihre Eltern in Trauer und Selbstgeißelungen verlieren, ihre Schwester stetig mehr einem Schatten gleicht. Der Traum von einer professionellen Karriere auf dem Eis zerplatzt – unter der Last der Sorge, dem drängenden Pflichtgefühl. Nur in Maggie, frisch in der Kleinstadt angekommen, sieht sie eine Freundin. Eine, die nichts von dem Drama weiß, die nie die Wahrheit erfahren darf … Und als der regennasse Zufall die Wege von Brooke und Heath zusammenführt, fühlt sich die Eiskunstläuferin auf gewisse Art … verstanden und gehört. Aber eine Freundschaft ist unmöglich, Liebe darf nicht sein. …
»Du bist nicht dein Bruder!«
Johnson schafft es, die Hilflosigkeit, das Unverständnis und die Trauer, pure Verzweiflung durch die Seiten fließen zu lassen. Schmerzhaft echt. Auch von dem Hass, den die Gemeinschaft Telfords versprüht, bekommen wir eine Kostprobe. Obgleich die Geschichte ausschließlich in der Gegenwart spielt, ist die Veränderung dank kleiner Erinnerungen – wehmütige, sehnsuchtsvolle – deutlich. Heute ist Jasons Familie zer- und gebrochen. Lediglich die wenigen Momente auf dem Eis und die Dynamik von Maggie & Brooklyn brachten hier und da Leichtigkeit mit, wenn auch weder Vorsicht noch Anspannung ganz verschwanden. Selbst die zaghafte Annäherung von Heath und der Schwester des Moerders, der ihm etwas Wichtiges nahm, wird rege von Distanz unterbrochen, bleibt konfliktreich.
Doch dem grausamen Bindeglied, dem klaffenden Graben, der sie für immer trennen wird, zum Trotz ist er bereit, ihr zu helfen. SIE zu sehen, und niemanden sonst.
Dieser Young-Adult-Roman ist oft melancholisch, regt zum Nachdenken an und wurde auf eine klare, intensive Art geschrieben, die die unterschiedlichen Gefühle greifbar transportiert. Ich verstand Brookes Zweifel, ihr Festhalten an der Suche nach einer anderen Wahrheit, ihren Wunsch, Maggie für sich zu behalten; ihre Scham, die Wut. Der Ansatz einer romantischen Entwicklung ist vorhanden, jedoch steht diese weder im offensichtlichen Fokus noch wurde sie derart ausgearbeitet, dass man von einem Liebesroman sprechen könnte. Einblicke in die Hinterbliebenen des Opfers sind rar, dabei hätten zumindest einige Kapitel aus der Sicht von Calvins Bruder dem Geschehen mehr Antrieb, Abwechslung und Tiefe verliehen. Manche Szenen und Gedankengänge waren sprunghaft; der Verlauf seicht und ereignislos, ohne langweilig zu sein. Bis … Brooke Ungereimtheiten auffallen, die ihre Fragen vervielfachen; die sie drängen, nachzuforschen, was in jener Nacht wirklich geschah. An diesem Punkt steigen die unterschwellige Spannung, die Hoffnung, die Neugier. Vermutungen werden geschürt.
Letztlich überrascht die Autorin mit ungeahnten, tragischen Offenbarungen … denn Brooklyn konnte nicht ahnen, welche Fassaden sie zum Einsturz bringt.
„Even if I fall“ ist ein bewegender Roman. Traurige, wehmütige Töne verbinden sich mit einem Funken Aufregung zu einer originellen, wendungsreichen Story.
»Es ist einfach, in den Gesichtern der Menschen Hass zu sehen, wenn man danach sucht.«